Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft – Erste Geiseln frei

– von Nidal al-Mughrabi und Mohammed Salem und James Mackenzie

Jerusalem (Reuters) – Nach rund 15 Monaten Krieg ist am Sonntag die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen in Kraft getreten.

Stunden später wurden wie in dem Abkommen festgelegt die ersten Geiseln von der radikalen Palästinenserorganisation freigelassen. Es handelt sich um drei Frauen im Alter von 24 bis 31 Jahren, die nach Angaben des israelischen Militärs bei guter Gesundheit und inzwischen wieder auf israelischem Boden sind. Sowohl im Gazastreifen als auch in Israel jubelten die Menschen. Erste Hilfslieferungen für die Bevölkerung im Gazastreifen wurden auf den Weg gebracht. Im Westjordanland standen Busse bereit, um wie vereinbart im Gegenzug 90 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft freizulassen. Der Hamas zufolge handelt es sich um 69 Frauen und 21 Jungen im Teenageralter.

Die Waffenruhe trat am Sonntagvormittag mit knapp dreistündiger Verspätung in Kraft. Sie war von Katar, Ägypten und den USA vermittelt worden. Grund der Verzögerung war, dass die Hamas eine zugesagte Liste mit den Namen der drei weiblichen Geiseln, die im Rahmen des Abkommens am Nachmittag aus der Gewalt der radikal-islamischen Palästinenser-Organisation freigelassen werden sollen, nach Angaben beider Seiten nicht rechtzeitig übergab. Die Hamas führte zur Begründung ein technisches Problem an. Israel setzte daraufhin seine Angriffe zunächst fort.

Das Abkommen sorgte in Israel innenpolitisch für Streit in der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Aus Protest verließ der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gwir mit seiner ultrareligiösen Partei die Koalition. Er trat gemeinsam mit zwei weiteren Ministern seiner Partei Otzma Jehudit zurück. Er hatte das Abkommen als Kapitulation vor der Hamas verurteilt. Auch Finanzminister Bezalel Smotrich drohte damit, die Regierung zu verlassen, sollte Israel den Krieg gegen die Hamas beenden. Ihm sei zugesagt worden, dass Israel den Krieg nicht beende, sagte der Chef der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus. Außenminister Gideon Saar von der Partei Neue Hoffnung erklärte, Israel halte an seinen Kriegszielen fest. Dazu gehöre die Freilassung der Geiseln und die Zerschlagung der Hamas. Sollte die Hamas im Gazastreifen an der Macht bleiben, werde es in Zukunft für keine der beiden Seiten Frieden, Stabilität und Sicherheit geben, sagte Saar vor Reportern in Jerusalem.

KOMPLEXES ABKOMMEN FÜR WAFFENRUHE UND GEISELFREILASSUNG

Es ist die erste Waffenruhe im Gaza-Krieg seit November 2023. Damals kamen in der rund einwöchigen Feuerpause auch Geiseln frei. Knapp 100 sollen sich noch in den Händen der Hamas befinden. Nach den ersten drei Geiseln sollen vier weitere weibliche Geiseln in sieben Tagen freigelassen werden. Die Übergabe läuft über das Rote Kreuz.

Mit Beginn der Waffenruhe liefen die Menschen im Gazastreifen auf die Straßen, um zu feiern. “Es fühlt sich an, als hätte ich nach 15 Monaten in der Wüste endlich etwas Wasser zum trinken gefunden”, sagte eine Frau, die aus Gaza-Stadt vertrieben wurde, über eine Chat-App. “Ich fühle mich wieder lebendig.” Auch auf einem Platz in Tel Aviv jubelten die Menschen. Sie weinten und fielen sich in die Arme, als sie auf einem großen Bildschirm live übertragene Bilder von der Freilassung der Geiseln sahen.

Israel und die Hamas hatten sich am Mittwoch nach monatelangen Verhandlungen auf die Waffenruhe verständigt. Vermittelt wurde die Vereinbarung von Ägypten, Katar und den USA. Kurz vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump am Montag war es zu einem Durchbruch gekommen. Der bisherige US-Präsident Joe Biden hatte das Abkommen bereits im vergangenen Frühjahr angestoßen. “Die Waffen in Gaza schweigen seit heute”, sagte Biden am Sonntag. Nun könnten die Hilfen beginnen. An den Übergängen in den Gazastreifen bildeten sich lange Schlangen von Lkw mit Hilfsgütern. Der Vereinbarung zufolge sollen pro Tag 600 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gebracht werden. 300 Lkw seien für den Norden des Gazastreifens vorgesehen, wo die Lage besonders kritisch ist und eine Hungersnot droht. Auch Treibstoff soll in den weitgehend zerstörten Küstenstreifen transportiert werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte die Waffenruhe. Die Freilassung von Geiseln sollte genutzt werden für eine friedliche Entwicklung und eine Perspektive, in der Palästinenser friedlich mit Israel zusammen koexistieren könnten, sagte der SPD-Politiker. “Und wir müssen jetzt natürlich auch dafür sorgen, dass viel humanitäre Hilfe nach Gaza kommt.” Die dortige Bevölkerung habe furchtbar gelitten.

Der Krieg begann mit dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei wurden nach israelischen Angaben 1200 Menschen getötet und mehr als 250 Geiseln verschleppt. In der Folge drang Israels Militär in den Gazastreifen ein. Dabei wurden palästinensischen Gesundheitsbehörden zufolge inzwischen fast 47.000 Menschen getötet. Wie der Wiederaufbau und es konkret mit dem Gazastreifen weitergehen soll, ist unklar. Der Wideraufbau soll von Ägypten, Katar und den Vereinten Nationen (UN) überwacht werden.

(Geschrieben von Kerstin Dörr und Christian Götz, redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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