– von Christian Krämer –
Berlin, 29. Jan (Reuters) – Die nächste Bundesregierung kann nicht auf eine schnelle Erholung der Wirtschaft hoffen.
Im Jahreswirtschaftsbericht der scheidenden Regierung wurden am Mittwoch die Prognosen abermals deutlich gesenkt. Nach zwei Rezessionsjahren rechnet Wirtschaftsminister Robert Habeck nun 2025 nur noch mit einem Wachstum von 0,3 Prozent statt der bisher erwarteten 1,1 Prozent. “Die Diagnose ist ernst”, sagte der Grünen-Kanzlerkandidat. “Wir stagnieren seit langem schon.” Die Union macht ihn dafür verantwortlich. Auch die Wirtschaft ging mit der zerbrochenen Ampel-Koalition hart ins Gericht und forderte einen radikalen Kurswechsel.
Habeck sagte, die nächste Regierung stehe vor großen Herausforderungen. Die drohenden Sonderzölle der USA unter Präsident Donald Trump seien in den neuen Schätzungen noch nicht enthalten. Sie könnten einen “gewaltigen Effekt” haben. Die EU müsse einen Handelskrieg unbedingt vermeiden. Die besonders exportabhängige deutsche Wirtschaft würde sonst einen hohen Preis zahlen.
Es brauche auch größere Haushaltsspielräume für öffentliche Investitionen. “Sonst lähmt sich Deutschland selbst.” Habeck wirbt seit langem für eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Dies dürfte ein Knackpunkt in den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr werden.
CDU/CSU-Fraktionsvizechef Jens Spahn sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Habeck sei das Gesicht der Wirtschaftskrise geworden. “Selbst das prognostizierte Mini-Wachstum ist zu optimistisch. Wir steuern auf das dritte Jahr Rezession in Folge zu, während alle anderen Industrienationen wachsen.” Die Krise sei hausgemacht. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz würde bei einem Wahlsieg die Wende einleiten und Deutschland zurück auf den Wachstumspfad führen.
Der Industrieverband BDI hatte am Dienstag prognostiziert, dass die deutsche Wirtschaft 2025 um 0,1 Prozent schrumpfen dürfte. Im Fall neuer Zölle könnte das Minus fast ein halbes Prozent betragen. Drei Rezessionsjahre in Folge hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben.
WIRTSCHAFT UNZUFRIEDEN MIT SCHOLZ
Die Bundesregierung betonte in dem 147-seitigen Bericht, die für die europäische Handelspolitik zuständige EU-Kommission müsse zügig Fortschritte beim Abschluss weiterer Handelsabkommen machen. “Die engen und intensiven Handelsbeziehungen zu den USA müssen erhalten und nach Möglichkeit strategisch ausgebaut werden.” Für die deutsche Exportindustrie rechnet die Regierung in diesem Jahr mit einem Minus von 0,3 Prozent, nachdem es 2024 minus 0,8 und 2023 minus 0,3 Prozent waren.
Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr wie 2024 bei 2,2 Prozent liegen, also leicht oberhalb des Ziels der Europäischen Zentralbank. “Es gibt auch wieder spürbare Reallohnzuwächse, die Menschen haben wieder mehr Geld im Portemonnaie”, sagte Habeck. Die Regierung rechnet allerdings auch mit einer steigenden Arbeitslosenquote von 6,3 (2024: 6,0) Prozent. 2026 dürfte das Wachstum dann bei 1,1 Prozent liegen und die Inflation unter zwei Prozent.
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft – BDA, BDI, DIHK und ZDH – kritisierten in einer gemeinsamen Erklärung, die Ampel habe die Lage teilweise falsch eingeschätzt und abgewiegelt sowie ein “grünes Wirtschaftswunder” in Aussicht gestellt. Das dürfte auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) gemünzt sein, der lange von einer rein konjunkturellen Schwächephase gesprochen hatte. “Zentrale Reformen sind von der Politik über Jahre immer wieder aufgeschoben worden”, kritisierten die Verbände. Dadurch sei der Druck jetzt umso größer, ebenso wie der Vertrauensverlust der Firmen.
UNTERNEHMERDEMO IN BERLIN
Laut Verband der Familienunternehmer protestierten über 1000 Wirtschaftsvertreter vor dem Brandenburger Tor. Sie forderten unter anderem einen Bürokratieabbau, niedrigere Energiepreise, mehr Fachkräfte und geringere Steuern. “Für viele Familienunternehmer ist der Standort Deutschland mittlerweile so schlecht, dass sie wenig oder gar nicht mehr investieren”, sagte Verbandschefin Marie-Christine Ostermann. Es gebe weniger Existenzgründungen, stattdessen mehr Insolvenzen und Verlagerungen von Produktionen ins Ausland. “All dies führt zu Stellenabbau, wodurch immer mehr Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren.” Handwerkspräsident Jörg Dittrich sagte, es brauche eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik und den Mut zu echten Reformen.
Habeck und auch Scholz wurde immer wieder vorgeworfen, mit milliardenschweren Subventionen nur einzelne Konzerne zu fördern statt die Rahmenbedingungen für alle Betriebe zu verbessern. Im Jahreswirtschaftsbericht räumte die Regierung Versäumnisse ein. So sei die sogenannte Wachstumsinitiative – ein Maßnahmenbündel zur Stärkung des Standorts – wegen des Ampel-Bruchs nur teilweise umgesetzt worden. Das habe Wachstum gekostet, sagte Habeck.
(Mitarbeit: Andreas Rinke, redigiert von Thomas Seythal)