Berlin (Reuters) – Die nächste Bundesregierung muss laut der Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, das im Wahlkampf weitgehend ausgesparte Thema Rentenreform dringend anpacken.
“Wenn wir unseren Haushalt stabilisieren wollen, dann müssen wir was tun”, forderte die Münchner Forscherin am Dienstag auf einem Online-Forum der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Bereits jetzt gehe ein Viertel des Haushalts für Rentenzahlungen drauf, mit denen ausgeglichen werde, was nicht beitragsfinanziert sei. Die Ökonomin erwähnte unter anderem Belastungen durch die Rente mit 63, die Mütterrente und die Witwenrente: “Mit jeder Verzögerung einer Rentenreform wird das immer teurer.”
Auch mit Blick auf den Vorschlag der CSU, die Mütterrente auszubauen, sei ein weiterer Anstieg “versicherungsfremder Leistungen” zu erwarten: “Wir können uns das auf Dauer gar nicht leisten”, sagte Schnitzer. Es sei ein großes Manko, dass das heiße Eisen Rentenreform im Wahlkampf nicht angepackt werde. Dabei sei Handlungsdruck da: Die Vertreter der geburtenstarken Jahrgänge – die sogenannten Babyboomer – gingen nach und nach in Rente und hätten nicht für genügend Nachwuchs gesorgt. Das Rentensystem sei dementsprechend auf Dauer nicht finanzierbar.
KRITIK AN RÜCKZIEHER DER UNION
Die CDU/CSU habe sich noch voriges Jahr offen für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters gezeigt und auch für Überlegungen, die ‘Rente mit 63’ – also die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren – zurückzufahren. “Es gab noch diese Vorschläge. Die sind alle einkassiert worden. Ich kann das nur so interpretieren, dass man Sorge hat, im Wahlkampf schlecht auszusehen”, kritisierte Schnitzer.
Sie plädierte dafür, das Renteneintrittsalter perspektivisch zu erhöhen. Seit den 80er Jahren habe sich die Bezugsdauer der Rente um acht Jahre erhöht. “Das sind acht Jahre, die finanziert werden müssen.” Die Wirtschaftsweisen, denen Schnitzer vorsitzt, haben eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters unter Berücksichtigung der Lebenserwartung beim Renteneintritt vorgeschlagen. Der Renteneintritt der Babyboomer-Generation wird in den nächsten Jahren absehbar zu einem starken Anstieg der Ausgaben im Renten- und Gesundheitssystem führen. Die Industriestaaten-Organisation (OECD) geht von einem Kostenanstieg von etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2030 sowie von 3,5 Prozent bis 2045 aus.
(Bericht von Reinhard Becker; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)