Berlin (Reuters) – Die nächste Bundesregierung muss einer Studie zufolge mit milliardenschweren Förderungen die riesige Lücke beim Bau von Sozialwohnungen schließen.
Bis 2030 müssten pro Jahr mindestens 210.000 Sozialwohnungen neu geschaffen werden, vor allem per Neubau, teilte das Verbändebündnis Soziales Wohnen am Mittwoch in Berlin mit. Hinzu komme der Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen. “Nur so kann es gelingen, in fünf Jahren die Zielmarke von zwei Millionen Sozialwohnungen zu erreichen”, sagte Matthias Günther, Chefökonom des Forschungsinstituts Pestel. Er hat mit dem Bauforschungsinstitut ARGE den Wohnungsmarkt unter die Lupe genommen. “Doch selbst dann wäre nur die gröbste Not gelindert.”
Die nächste Regierung sollte ein Bekenntnis abgeben, bis wann sie zwei Millionen Sozialwohnungen erreichen wolle, ergänzte Günther. Das könnte 2033 oder 2035 sein. “2030 – das wird eng.” Es brauche Ziele, sonst passiere zu wenig. Insgesamt fehlten Anfang 2025 rund 550.000 Wohnungen. Staatliche Förderungen würden durch höhere Kosten am Bau aufgezehrt.
Der Wohnungsmangel – vor allem in Großstädten – spielt bislang im Wahlkampf kaum eine Rolle, weil die Themen Migration und Wirtschaftsflaute dominieren. Seit Mitte der 1990er Jahre sinkt die Zahl der Sozialwohnungen kontinuierlich, liegt nur noch knapp oberhalb der Marke von einer Million. 2006 waren es noch zwei Millionen. Darin stecke sozialer Sprengstoff, sagte Günther. Würde der Staat alle Menschen, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, tatsächlich versorgen, dann wären bundesweit sogar rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen notwendig.
EXPERTE: “PREMIUM-SOZIALWOHNUNGEN” GEHEN AM BEDARF VORBEI
Die Zahlen der zerbrochenen Regierung aus SPD, Grünen und FDP sind trotz eigens geschaffenem Bauministerium ernüchternd. Die Ampel wollte pro Jahr 400.000 Wohnungen neu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. “Doch damit ist sie krachend gescheitert”, sagte Günther. ARGE-Chef Dietmar Walberg ergänzte, 2023 – dem letzten vollen Regierungsjahr der Ampel – seien nur gut 23.000 Sozialwohnungen gefördert worden. “Das Paradoxe ist: Der Bund hat sogar mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau gegeben als zuvor. Trotzdem kamen am Ende weniger Sozialwohnungen heraus.” Denn es werde zu teuer gebaut, so entstünden “Premium-Sozialwohnungen”, die sich viele auch nicht leisten könnten.
Das Bauforschungsinstitut aus Kiel betonte, die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen könnten um bis zu ein Drittel gedrückt werden. “Unter dem Strich würde die bisherige vom Staat gezahlte Fördersumme von gut 3200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sogar ausreichen, um damit den Bau von Sozialwohnungen komplett zu finanzieren”, sagte Walberg. Zusätzliche Kosten gingen dann in Extras wie die Qualität von Wänden und Decken, dreifach verglaste Fenster sowie Kellerräume und Tiefgaragenplätze. Nach ARGE-Berechnungen könnte man Sozialwohnungen für 2920 Euro pro Quadratmeter bauen. “Hier ist es entscheidend, dass die Kommunen deutlich mehr günstiges Bauland für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen als bislang.”
Das SPD-geführte Bauministerium teilte mit, die Förderprogramme des Bundes seien 2024 gut nachgefragt gewesen. Dies gelte insbesondere für Mehrfamilienhäuser, allen voran beim KFN-Programm (Klimafreundlicher Neubau). Hier wurden Förderungen von rund 6,9 Milliarden Euro zugesagt und damit Investitionen von 18,4 Milliarden Euro angestoßen. “Es wurden 47.247 Wohneinheiten gefördert.” Bei der Wohneigentumsförderung für Familien wurden 915 Millionen Euro zugesagt, was Investitionen von 2,69 Milliarden angestoßen hat. Geringere Summen gab es demnach in zwei Programmen, die erst im Herbst 2024 angelaufen sind – zum klimafreundlichen Neubau im Niedrigpreissegment sowie zur Sanierung von Immobilien durch junge Familien.
Das Verbändebündnis Soziales Wohnen bezifferte die staatlichen Kosten für Bund und Länder auf elf Milliarden Euro, um 100.000 Sozialwohnungen neu zu bauen. Diese Summe sollte mindestens pro Jahr in einem Fonds geparkt werden, um langfristig und unabhängig von der Haushaltslage Erfolge zu erzielen. Die Verbände plädierten zudem für eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für alle Bauleistungen, sofern in Gebäuden mindestens zwei Drittel Sozialwohnungen sind.
(Bericht von Christian Krämer; Redigiert von Klaus Lauer; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)