In Gedanken schon im Nachwahlmodus – Scholz und Merz im letzten TV-Duell

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Der verkürzte Bundestagswahlkampf war lange geprägt von giftigen gegenseitigen Angriffen – gerade zwischen Kanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz.

Aber je näher die Wahl zu kommen scheint, desto mehr scheinen die negativen Emotionen zu schwinden. “Ja”, sagte der CDU-Chef am Mittwoch im TV-Duell bei Welt-TV und “Bild” auf die Frage, ob er zu Scholz ins Ruderboot steigen würde. “Und da ich ganz gut schwimmen kann – auch ohne Schwimmweste”, fügte er leicht spöttisch hinzu. “Ja”, meint der SPD-Politiker auf die Frage, ob er zu dem Hobbypiloten Merz ins Flugzeug steigen würde. “Ich nehme an, er hat den Pilotenschein zu Recht.”

Der Wortwechsel mag banal klingen. Aber es wirkt, als ob Scholz und Merz – unabhängig vom Kampf für ihre Parteien – schon an die Zeit nach Schließung der Wahllokale am Sonntag um 18.01 Uhr denken. Denn während US-Präsident Donald Trump eine Provokation und Drohung nach der anderen über den Atlantik schickt, müssen die Parteien der Mitte in Berlin schnell eine Einigung finden. Dass sich beide politischen Alphatiere schon als Sieger wähnen, gehört zum Wahlkampf-Spiel dazu. Aber beide wissen auch: Wenn die Umfragen so bleiben, werden sich möglicherweise Union und SPD arrangieren müssen.

Dies ergibt im TV-Duell eine geradezu erstaunliche Übereinstimmung: Beim Bürgergeld pochen beide darauf, dass Empfängern, die nicht arbeiten wollen, die Leistungen gekürzt werden – man streitet nur über den Weg. Bei Abschiebungen sind sich beide einig, dass diese nicht ausreichen und forciert werden müssen. Kanzler Scholz stichelt eher, dass Oppositionsführer Merz den Mund zu voll genommen hat. Als der CDU-Chef einräumt: “Es gibt Länder, in die nicht sofort abgeschoben werden kann” kommentiert Scholz das lakonisch: “Er hat es gesagt.”

Und Merz pocht zwar darauf, dass er nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben wird, der eine Wende in der Migrations- und Wirtschaftspolitik beinhaltet. Aber was das konkret bedeutet, wird etwa beim Thema abgelehnte Asylbewerber mit Duldung immer unklarer. Denn Merz hatte nach dem Anschlag von Aschaffenburg in seinem Fünf-Punkte-Programm noch das sofortige Ausreisegewahrsam für alle Ausreisepflichtige gefordert. Dann hatte er in dem mit AfD-Stimmen durchgesetzten Bundestags-Antrag die Abschiebehaft nur noch für die 40.000 Personen mit Ausreisepflicht verlangt.

Im TV-Duell redet er nun davon, die etwa 500 bekannten Gefährder aus Ländern wie Syrien und Afghanistan in Abschiebegewahrsam zu nehmen und abzuschieben. “Diese 40.000, die sofort ausreisepflichtig sind ohne Duldungsstatus, die können Sie natürlich nicht alle festnehmen”, schiebt er hinterher.

Damit schrumpft die inhaltliche Kluft zwischen den Parteien deutlich, auch wenn beide Politiker energisch streiten. Das ist ein Phänomen, das die Rekordzahl an TV-Duellen, -Quadrellen und -Wahlarenen insgesamt zeigt. Denn diese “Normalisierung” zeigt sich auch im Umgang mit der AfD. Eigentlich ist die Partei, die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, das Feindbild von Union, SPD, Linken und Grünen – niemand will mit der AfD koalieren. Aber die TV-Sender sorgen dafür, dass AfD-Co-Chefin Alice Weidel in diesem Wahlkampf wie selbstverständlich neben den Kanzlerkandidaten von SPD, Union und Grünen steht. ARD und ZDF haben es sogar bewusst darauf angelegt, dass es in ihren “Wahlarenen” zu Begegnungen zwischen den Kandidaten kommt: Vergangenen Freitag führte dies zu einem Händedruck zwischen Weidel und Merz. Am Montag folgte in der ARD dann ein Händedruck zwischen Scholz und Weidel – und einem zwischen Grünen-Kandidat Robert Habeck mit Weidel. “Das ist eine visuelle Normalisierung”, kritisiert ein Spitzenpolitiker der rotgrünen Minderheitsregierung. “Es entsteht der Eindruck für die Zuschauer, als ob man normal miteinander umgehen würde.” Dabei gehören etwa im Bundestag Klagen vieler Abgeordneter über unflätiges Verhalten der AfD-Parlamentarier zur Tagesordnung – neben den großen inhaltlichen Differenzen.

Was im Umgang mit der AfD mit Sorgen gesehen wird, könnte bei SPD und CDU mit Blick auf eine Koalitionsbildung eine eher positive Wirkung haben. Also dämpft Scholz seine Warnungen davor, dass Merz doch mit der AfD regieren könnte. Der wiederum schließt nun auch eine Minderheitsregierung aus, bei der er sich mit AfD-Stimmen zum Kanzler wählen lassen würde. Und dann frotzeln Kanzler und Herausforderer bei der Frage, was der andere Kandidat besonders gut kann: “Jeden zweiten Satz mit ‘Ich'” anfangen, sagt Merz über Scholz. Der Kanzler antwortet mit einem Lächeln über den CDU-Chef: “Jeden zweiten Satz mit ‘Ich’ anfangen”.

(Redigiert von Birgit Mittwollen.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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