Washington/Brüssel (Reuters) – US-Präsident Donald Trump hat nach dem offenen Streit im Weißen Haus mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj die Militärhilfe für das Land ausgesetzt.
“Der Präsident hat deutlich gemacht, dass es ihm um Frieden geht. Wir brauchen Partner, die sich ebenfalls für dieses Ziel einsetzen. Wir legen eine Pause ein und überprüfen unsere Hilfe, um sicherzustellen, dass sie zu einer Lösung beiträgt”, erläuterte ein US-Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, den Schritt. In Europa stieß das Vorgehen auf Unverständnis. Statt die Ukraine zu stärken, spiele Trump einmal mehr dem Aggressor, Russlands Präsident Wladimir Putin, in die Hände, lautete die Kritik von vielen Seiten.
Zugleich gerieten die Europäer aber noch mehr unter Zugzwang, für die USA in die Bresche zu springen und ihre Unterstützung für die Ukraine rasch und massiv aufzustocken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der Verteidigungsausgaben an. Unter anderem sollen die Haushaltsregeln gelockert werden, um den Mitgliedsstaaten mehr finanziellen Spielraum zu geben. Insgesamt 800 Milliarden Euro könnten so laut von der Leyen mobilisiert werden. Grundsätzlich zeichnete sich aber auch vor einem EU-Sondergipfel zur Ukraine am Donnerstag keine uneingeschränkt einheitliche Linie ab: Die ungarische Regierung erklärte erneut, dass sie hinter Trumps Kurs stehe, wie ein Sprecher mitteilte.
“UKRAINE WIRD ZUR KAPITULATION GEDRÄNGT”
Auch Moskau begrüßte das Aussetzen der US-Militärhilfe. Sollten die Berichte dazu stimmen, dann könnte dies die Ukraine zu einem Frieden bewegen, erklärte das russische Präsidialamt. Allerdings müsse man die Details abwarten.
Das Weiße Haus äußerte sich zunächst nicht zu Einzelheiten, etwa zum Umfang und zur Höhe der ausgesetzten Hilfe oder zur Dauer der Pause. Das Pentagon konnte keine näheren Angaben machen. Von der ukrainischen Regierung lag zunächst keine Stellungnahme vor, ebenso wenig von der ukrainischen Botschaft in Washington. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im ukrainischen Parlament, Oleksandr Mereschko, sagte, es sehe so aus, als ob Trump Kiew zur Kapitulation dränge und auf Russlands Bedingungen einzugehen.
Der französische Europa-Staatssekretär Benjamin Haddad sagte dem Sender France 2, Trumps Vorgehen stärke die Position Russlands und erschwere es, einen Frieden zu erreichen. Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala rief Europa dazu auf, Verantwortung für die eigene Verteidigung zu übernehmen und mehr in Rüstung zu investieren. “Die Zeit, in der wir uns darauf verlassen haben, dass andere die grundlegenden internationalen Herausforderungen in unserem Namen lösen, ist vorbei”, erklärte er auf X. Die Nato-Verbündeten seien über die Entscheidung, die US-Militärhilfe auszusetzen, nicht informiert worden, sagte ein Sprecher des polnischen Außenministeriums.
INSIDER: SEIT DER NACHT KEINE US-MILITÄRHILFE MEHR
Ein mit der Lage vertrauter Insider sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass Militärlieferungen der USA in die Ukraine gegen 03.30 Uhr (Ortszeit, 02.30 Uhr MEZ) gestoppt worden seien. Seit dem Einmarsch Russlands vor drei Jahren hat der US-Kongress nach Behördenangaben Unterstützung für die Ukraine im Umfang von insgesamt 175 Milliarden Dollar bewilligt. Die Trump-Regierung hat noch aus der Zeit vor ihrem Amtsantritt eine Befugnis übernommen, US-Waffenbestände im Wert von 3,85 Milliarden Dollar für die Ukraine anzuzapfen. Angesichts des zunehmenden Streits zwischen Washington und Kiew scheint es jedoch vorerst unwahrscheinlich, dass Trump darauf zurückkommen wird.
Am Freitag war es zwischen Trump und Selenskyj vor laufenden Kameras im Oval Office zu einem beispiellosen Eklat gekommen. Trump und sein Vizepräsident JD Vance warfen ihrem Gast Undankbarkeit vor und beschuldigten ihn anschließend, nicht zum Frieden bereit zu sein. Ein umstrittenes Abkommen, dass den USA Zugriff auf ukrainische Rohstoffe ermöglichen sollte, wurde nicht unterschrieben. Nach dem Streit signalisierten die europäischen Verbündeten demonstrativ Solidarität mit Selenskyj, während gleichzeitig immer mehr Sorgen hochkochten, wie verlässlich die USA noch als Verbündeter etwa im Rahmen der Nato sind. Darüber hinaus stößt auch Trumps Wirtschaftspolitik viele Handelspartner vor den Kopf. Am Dienstag startete er mit hohen Strafzöllen einen Handelskrieg gegen Kanada, Mexiko und China. Er droht zudem mit zusätzlichen Zöllen auf Importe aus der EU.
(Bericht von Andrea Shalal, Gram Slattery, Bart Meijer, Dmitry Antonov; geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Kerstin Dörr.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)