Nach Stopp von US-Hilfe ist Kiew um Gelassenheit bemüht

– von Andrea Shalal und Max Hunder

Washington/Kiew (Reuters) – Die ukrainische Regierung hat relativ gelassen auf die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump reagiert, die Militärhilfe für das kriegsgeschundene Land vorerst auszusetzen.

Die ukrainischen Streitkräfte seien in der Lage, sich an der Front gegen die russischen Truppen behaupten zu können, erklärte Ministerpräsident Denys Schmyhal am Dienstag. “Unsere Armee und die Regierung haben die Fähigkeiten, die Mittel, sagen wir, die Situation an der Front aufrechtzuerhalten.” Als Reaktion auf den Russland freundlichen Kurs der USA schlug die EU-Kommission in Brüssel ein umfassendes Milliarden-Paket vor, um die Verteidigungsfähigkeit Europas nachhaltig zu stärken.

Ein US-Vertreter erklärte am Montag die neue Linie der Regierung in Washington: “Präsident Trump hat deutlich gemacht, dass er sich auf den Frieden konzentriert. Wir brauchen unsere Partner, die sich ebenfalls diesem Ziel verpflichtet fühlen. Wir setzen unsere Hilfe aus und überprüfen sie, um sicherzustellen, dass sie zu einer Lösung beiträgt.” Die Entscheidung folgte auf den Eklat im Weißen Haus am vergangenen Freitag, als sich Trump und US-Vize JD Vance einerseits und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj andererseits vor laufenden Kameras gegenseitig beschimpft hatten.

Schmyhal dankte den USA und betonte, dass seine Regierung eine für beide Seiten vorteilhafte Kooperation anstrebe. “Wir werden weiterhin auf ruhige Art und Weise über alle verfügbaren Kanäle mit den USA zusammenarbeiten”, sagte er auf einer Pressekonferenz. “Wir haben nur einen Plan – zu gewinnen und zu überleben. Entweder gewinnen wir, oder der Plan B wird von jemand anderem geschrieben.” Selenskyj selbst äußerte sich zunächst nicht zur Entscheidung der US-Regierung. Am Dienstagmittag machte er lediglich bekannt, dass er mit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz telefoniert habe.

“EINE ENTSCHEIDENDE ROLLE”

Auf der Plattform X schrieb Selenskyj nach dem Gespräch: “Wir erinnern uns daran, dass Deutschland bei der Lieferung von Luftverteidigungssystemen an die Ukraine führend ist und eine entscheidende Rolle bei der Sicherung unserer finanziellen Stabilität spielt.” Von der Bundesregierung lag zunächst ebenfalls keine Stellungnahme zu Trumps Entscheidung vor. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock äußerte sich lediglich zum Vorstoß der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Dies sei ein “wichtiger erster Schritt”, schrieb Baerbock auf X.

Das russische Präsidialamt äußerte sich positiv. Die Einstellung der US-Militärhilfe für die Ukraine sei der bestmögliche Schritt in Richtung Frieden, auch wenn man Trumps Vorgehen noch bestätigen müsse. Seit der russischen Invasion vor drei Jahren hat der US-Kongress laut dem überparteilichen Ausschuss für einen verantwortungsvollen Bundeshaushalt insgesamt 175 Milliarden Dollar an Hilfen für die Ukraine bewilligt. Trumps Schritt setzt die Auszahlung von 3,85 Milliarden Dollar an vom Kongress genehmigter Militärhilfe aus, die er von seinem Vorgänger Joe Biden geerbt hat.

Militärexperten sagten, es könnte eine Weile dauern, bis sich die Auswirkungen der fehlenden US-Hilfe bemerkbar machen. Als die US-Hilfe im vergangenen Jahr mehrere Monate lang von den Republikanern im Kongress zurückgehalten wurde, war der auffälligste Effekt zunächst ein Mangel an Luftabwehrsystemen, um russische Raketen und Drohnen abzuschießen. Später beklagten sich die ukrainischen Streitkräfte dann über ausgehende Munition an der Front. “Es ist ziemlich bedeutsam, aber bei weitem nicht so folgenreich, wie es früher im Krieg gewesen wäre, weil die Ukraine jetzt weit weniger von der direkten militärischen Unterstützung der USA abhängig ist”, sagte Michael Kofman, leitender Mitarbeiter der Carnegie-Stiftung.

“JA, ES IST VERRAT”

Die Aussetzung der Hilfen erhöht den Druck auf die europäischen Verbündeten. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellte am Dienstag Vorschläge vor, um die Verteidigungsausgaben in der EU zu steigern und damit auch die Ukraine nachhaltig unterstützen zu können. Dazu sollen die EU-Stabilitätskriterien mit Blick auf Investitionen in die Rüstung gelockert werden. Zudem soll es einen neuen Gemeinschaftsfonds im Volumen von 150 Milliarden Euro geben, um die 27 Mitgliedstaaten bei Investitionen in die Verteidigung zu unterstützen. Insgesamt könnten dadurch Finanzmittel in Höhe von 800 Milliarden Euro mobilisiert werden, sagte von der Leyen. “Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung”, betonte sie.

Am Donnerstag kommen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem Krisengipfel zusammen. Frankreich verurteilte den Stopp der US-Hilfen. Dies rücke den Frieden “in weitere Ferne, weil er nur die Hand des Aggressors stärkt … und das ist Russland”, sagte der französische Europaminister Benjamin Haddad. Großbritannien, das sich bemüht hat, die Trump-Regierung auf seiner Seite zu halten, gab sich zurückhaltender. Premierminister Keir Starmer habe am Montagabend mit Trump gesprochen, sagte ein Sprecher. “Der Premierminister und Präsident Trump konzentrieren sich auf das gleiche Ergebnis, nämlich einen sicheren und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen.”

In der Ukraine gab es aber auch schockierte Reaktionen: “Ja, es ist Verrat, nennen wir es beim Namen”, sagte die Anwältin Olena Bilowa, 47, in Kiew. “Aber hoffen wir, dass die amerikanische Zivilgesellschaft und die Eliten der Europäischen Union uns nicht allein lassen werden.” Olexander Mereschko, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des ukrainischen Parlaments, warf Trump vor, sein Land “zur Kapitulation drängen” zu wollen.

(Bericht von Andrea Shalal, Gram Slattery, Bart Meijer, Dmitry Antonov; Bearbeitet von Alexander Ratz und Christian Rüttger, redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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