Jerusalem/Kairo/Washington (Reuters) – Nach den Luftangriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen hat ein Sprecher des dortigen Gesundheitsministeriums die Zahl der Toten auf mindestens 200 beziffert.
Mitarbeiter des Nasser-Krankenhauses in Khan Yunis, des Al-Aqsa-Krankenhauses im Zentrum des Gazastreifens und des Al-Ahly-Krankenhauses in Gaza-Stadt, die alle durch den Krieg stark beschädigt wurden, erklärten, dass sie insgesamt etwa 85 Tote verzeichnet hätten. Der Palästinensische Rote Halbmond gab an, dass seine Teams 86 Tote bargen und 134 Verwundete behandelten, während weitere Verletzte mit Privatautos in die überfüllten Krankenhäuser gebracht wurden.
Die Angriffe erfolgten offenbar an mehreren Orten gleichzeitig, darunter im nördlichen Gazastreifen, in Gaza-Stadt sowie in Deir al-Balah, Khan Yunis und Rafah im zentralen und südlichen Gazastreifen. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums sind unter den Getöteten viele Kinder. Augenzeugen der Angriffe berichteten gegenüber Reuters, dass israelische Panzer Gebiete in Rafah im südlichen Gazastreifen beschossen und viele Familien, die nach Beginn der Waffenruhe in ihre Gebiete zurückgekehrt waren, dazu zwangen, ihre Häuser erneut zu verlassen.
ISRAEL BEENDET WAFFENRUHE
Israel hat in der Nacht zum Dienstag die Waffenruhe mit der Hamas beendet und Angriffe auf den Gazastreifen gestartet. Wie das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erklärte, ist das Militär angewiesen worden, “energisch” gegen die Hamas vorzugehen. “Dies folgt auf die wiederholte Weigerung der Hamas, unsere Geiseln freizulassen, sowie auf ihre Ablehnung aller Vorschläge, die sie vom Gesandten des US-Präsidenten Steve Witkoff und von den Vermittlern erhalten hat”, hieß es in der Erklärung weiter. Israel werde von nun an wieder mit zunehmender militärischer Stärke gegen die Hamas vorgehen. Ein hochrangiger Vertreter der Hamas beschuldigte Israel, die Waffenruhevereinbarung einseitig aufgehoben zu haben und fügte hinzu, dass das Schicksal der 59 Geiseln, die noch im Gazastreifen festgehalten würden, nun ungewiss sei. Es handelte sich um die heftigsten Angriffe seit Beginn der Waffenruhe am 19. Januar. Der palästinensische zivile Rettungsdienst sprach von mindestens 35 Luftangriffen.
ISRAEL KONSULTIERTE USA VOR NEUEN ANGRIFFEN
Israel habe die USA vor Beginn der neuen Angriffe auf den Gazastreifen konsultiert, bestätigte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, auf Nachfrage in einer Sendung des US-Nachrichtensenders Fox News. “Wie Präsident Trump deutlich gemacht hat, werden die Hamas, die Houthis, der Iran und all jene, die nicht nur Israel, sondern auch die Vereinigten Staaten von Amerika terrorisieren wollen, einen Preis zu zahlen haben”, so Leavitt. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor öffentlich mit ähnlichen Worten gewarnt und gesagt, die Hamas solle alle Geiseln in Gaza freilassen oder “die Hölle wird losbrechen”. Die Angriffe hätten laut Washington Kommandeuren und Führungsmitglieder der radikal-islamischen Hamas sowie auf Infrastruktur der militanten Gruppe gegolten.”Die Hamas hätte Geiseln freilassen können, um die Waffenruhe zu verlängern, hat sich aber stattdessen für Verweigerung und Krieg entschieden”, sagte ein weiterer Sprecher des Weißen Hauses, Brian Hughes.
In den vergangenen zwei Wochen hatte es immer wieder Gespräche über die Fortsetzung der Waffenruhe gegeben. Noch am Sonntag erklärte sich Israel bereit, die Gespräche unter bestimmten Bedingungen weiterführen zu wollen. Die Vermittler müssten aber auf einen US-Vorschlag zur Freilassung von elf Geiseln und zur Übergabe der Hälfte der Toten eingehen, teilte das Büro von Benjamin Netanjahu zu diesem Zeitpunkt mit. Verhandlungsteams aus Israel und von der Hamas hatten sich in Doha aufgehalten, während Vermittler aus Ägypten und Katar versuchten, die Kluft zwischen den beiden Seiten nach dem Ende der ersten Phase der Waffenruhe zu schließen. Mit Unterstützung der USA hatte Israel auf die Rückgabe der restlichen 59 Geiseln gedrängt und im Gegenzug für eine längerfristige Waffenruhe angeboten, bei der die Kämpfe bis nach dem muslimischen Fastenmonat Ramadan und dem jüdischen Pessachfest im April eingestellt worden wären.
Die Hamas hatte jedoch darauf bestanden, Verhandlungen über eine dauerhafte Beendigung des Krieges und einen vollständigen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen aufzunehmen, wie es im ursprünglichen Waffenruheabkommen vorgesehen war. Jede Seite hat der anderen jedoch fortlaufend vorgeworfen, die Bedingungen des Waffenruheabkommens vom Januar nicht eingehalten zu haben. Israel hatte beispielsweise die Einreise von Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockiert und bei zahlreichen Gelegenheiten mit der Wiederaufnahme der Kämpfe gedroht, falls die Hamas sich nicht bereit erklärt, die von ihr noch festgehaltenen Geiseln freizulassen. Bisher konnte jedoch eine vollständige Rückkehr zu den Kämpfen vermieden werden.
(Bericht von Nidal al-Mughrabi und Kanishka Singh, Enas Alashray und Yomna Ehab, geschrieben von Alexandra Falk. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)