Bundesregierung drückt bei Nato-Nord-Erweiterung aufs Tempo

– von Alexander Ratz und Nevzat Devranoglu

Berlin/Ankara/Brüssel (Reuters) – Die Bundesregierung macht bei der Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato Tempo, offensichtlich um Druck auf die Türkei auszuüben.

Nachdem die Regierungen in Stockholm und Helsinki am Mittwochmorgen in Brüssel offiziell ihre Bewerbungen um Aufnahme in die transatlantische Allianz einreichten, billigte das Bundeskabinett in Berlin das Gesuch schon am Vormittag. “Auf ein baldiges Willkommen Schwedens und Finnlands – wir stehen füreinander”, schrieb Außenministerin Annalena Baerbock auf Twitter. Die Türkei bekräftigte unterdessen ihren Widerstand gegen eine Aufnahme beider Länder in die Nato und verwies zur Begründung auf deren Unterstützung von “Terroristen”.

Schweden und Finnland wahrten jahrzehntelang Neutralität und waren in militärischen Fragen bündnisfrei. Der russische Angriffskrieg hat die Stimmung in der Bevölkerung jetzt aber zugunsten der Nato gekippt. Finnland hat eine rund 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Die Regierung in Moskau hatte zunächst angekündigt, bei einer Nato-Mitgliedschaft beider Länder Vergeltung üben zu wollen, ohne konkrete Schritte zu nennen. Präsident Wladimir Putin hat mittlerweile den Ton aber etwas entschärft. Eine Mitgliedschaft beider Länder in der Nato sei an sich kein Problem, sagte er. Er warnte die Nato aber davor, Schweden und Finnland nach einem Beitritt hochzurüsten.

Indes mahnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan von der Nato mehr Verständnis bezüglich der Sicherheit seines Landes an. Vor allem Schweden müsse “Terroristen” ausliefern, andernfalls könne die Türkei einem Nato-Beitritt des Landes nicht zustimmen. Derzeit sei es im übrigen nicht erforderlich, dass schwedische und finnische Diplomaten deswegen in die Türkei reisten, fügte Erdogan hinzu. Das Nato-Mitglied kritisiert die beiden Länder seit Jahren für deren Umgang mit Organisationen, die von der Türkei als terroristisch eingestuft werden, darunter die militante Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und die Bewegung des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen. Die PKK wird auch von der EU als Terrororganisation eingestuft.

Diplomaten gehen aber davon aus, dass das Argument mit “Terroristen” nur vorgeschoben ist und die türkische Regierung tatsächlich die Aufhebung eines Exportstopps von Militärgütern verfolgt. Dabei geht es vor allem um den Kauf von US-Kampfflugzeugen. Im Tagesverlauf wurde ein Treffen von US-Außenminister Antony Blinken mit dem türkischen Ressortchef Mevlüt Cavusoglu erwartet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich bereits zuversichtlich geäußert, dass die Türkei die Nord-Erweiterung am Ende nicht blockieren werde. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warf der türkischen Regierung vor, sich wie auf einem “Basar” zu verhalten.

“EIN HISTORISCHER MOMENT”

Die 30 Nato-Staaten müssen dem Beitritt Finnlands und Schwedens zunächst zustimmen, was Deutschland mit dem Kabinettsbeschluss am Mittwoch bereits getan hat. Auch Italien will die internen Verfahren beschleunigen, um beiden Ländern eine rasche Aufnahme in das westliche Militärbündnis zu ermöglichen, wie Ministerpräsident Mario Draghi ankündigte. Liegt der einstimmige Aufnahmebeschluss vor, muss der Beitritt allerdings noch von den Parlamenten der 30-Nato-Staaten ratifiziert werden. Baerbock hat Schweden und Finnland bereits zugesagt, auch hier ein schnelles Verfahren Deutschlands zu verfolgen.

Auf die Frage nach türkischen Vorbehalten sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin, dass man sich “aktiv” für eine Lösung einsetze. Details wollte sie nicht nennen. Man sei weiter zuversichtlich, dass der Beitritt Schwedens und Finnlands nicht blockiert werde. Die Bundesregierung würde auch einen Nato-Beitritt der neutralen EU-Länder Österreich und Irland positiv sehen.

“Dies ist ein historischer Moment, den wir nutzen müssen”, sagte Nato-Generalsekretär Stoltenberg am Morgen bei einer kurzen Zeremonie im Hauptquartier des westlichen Militärbündnisses in Brüssel, bei der der schwedische und der finnische Botschafter die Beitrittsgesuche überreichten. “Ich begrüße die Anträge Finnlands und Schwedens auf Beitritt zur Nato sehr. Sie sind unsere engsten Partner, und ihre Mitgliedschaft in der Nato wird unsere gemeinsame Sicherheit erhöhen.” Stoltenberg geht davon aus, dass die Probleme mit der Türkei gelöst werden können. “Wir sind entschlossen, alle Fragen zu klären und schnell zu einem Ergebnis zu kommen.”

(Weitere Reporter: Robin Emmott, Marine Strauss, Andreas Rinke, Ali Kucukgocmen; redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

tagreuters.com2022binary_LYNXNPEI4H0AB-VIEWIMAGE