– von Andreas Rinke und Markus Wacket und Holger Hansen
Berlin (Reuters) – CDU-Chef Friedrich Merz ist erst im zweiten Anlauf im Bundestag zum neuen Kanzler gewählt worden.
Er erhielt am Dienstag im zweiten Wahlgang 325 Ja-Stimmen und damit mehr als die erforderlichen 316 für eine Kanzlermehrheit. Mit Nein stimmten 289 Abgeordnete, drei Stimmen waren ungültig, es gab eine Enthaltung, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. “Frau Präsidentin, ich bedanke mich für das Vertrauen und ich nehme die Wahl an”, erklärte Merz anschließend. Nach den Gratulationen im Bundestag fuhr Merz zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um seine Ernennungsurkunde entgegenzunehmen. Danach wird er im Bundestag vereidigt. Mit der Wahl steht auch der geplanten Antrittsreise des neuen Kanzlers am Mittwoch nach Paris und Warschau nichts mehr im Wege.
Merz’ Scheitern im ersten Wahlgang am Dienstagmorgen hatte eine Schockwelle nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland ausgelöst. Auch die Börsenkurse sackten vorübergehend ab. Merz hatte nur 310 Ja-Stimmen erhalten und damit die Kanzlermehrheit verfehlt. Die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und Linken verabredeten danach nach stundenlangen Beratungen, durch eine Aussetzung der Bundestags-Geschäftsordnung eine zweite Abstimmung noch am Dienstag möglich zu machen. Mit der AfD war nicht gesprochen worden, dennoch stimmte auch sie der Fristverkürzung für das zweite Votum zu.
Merz hatte sehr schnell angekündigt, dass er erneut antreten wolle und dafür auch die Rückendeckung seiner Fraktion bekommen. Der CDU-Vorsitzende und der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil hatten am Montag noch betont, dass sie fest mit einer klaren Mehrheit der künftigen Regierungsfraktionen bei der Kanzlerwahl rechneten. Bei Sonderfraktionssitzungen am Dienstagmorgen hatten Union und SPD festgestellt, dass alle Abgeordneten anwesend sind. Sowohl Klingbeil als auch der neue CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn mahnten ihre Fraktionen vor der zweiten Abstimmung zur Disziplin. “Ganz Europa, vielleicht die ganze Welt schaut auf diesen Wahlgang”, sagte Spahn. “Ich appelliere an alle, sich dieser besonderen Verantwortung bewusst zu sein.”
SPD WEIST VORWURF DER ABWEICHLER ZURÜCK
Dass Parlamentarier von Union oder SPD im ersten Wahlgang nicht für Merz gestimmt hatten, wurde in Koalitionskreisen damit erklärt, dass es offenbar Unzufriedene gab. Dazu könnten Politiker gehören, die bei der Regierungsbildung nicht mit Posten bedacht wurden. In der SPD hatte es aber auch grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz gegeben. Laut Umfragen hält mehr als die Hälfte der SPD-Anhänger Merz nicht für den geeigneten Kanzler. In der Union wiederum sorgten die nach der Wahl veränderte Finanzpolitik mit der Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur teilweise für Kritik.
In der Union wurde direkt nach der Abstimmung auf die SPD verwiesen. Dort herrsche keine gute Stimmung. Merz hatte am Montag die SPD-Fraktion besucht und dabei für eine Zustimmung geworben. “Wir gehen bei uns von voller Zustimmung aus. Gefehlt hat auch niemand”, hieß es dagegen am Dienstag aus dem Umfeld Klingbeils. In der Fraktion hatte es an anderer Stelle geheißen, Unzufriedenheit mit der Machtfülle Klingbeils hätte zur Verweigerung beigetragen haben können.
Der Linken-Co-Vorsitzende Jan van Aken sagte, wenn Merz noch nicht einmal das Vertrauen der eigenen Leute bekomme, könne er auch kein Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den Problemen des Alltags zu kämpfen hätten. “Ihm gelingt es nicht zu verbinden, sondern nur zu spalten.” Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, sieht die Abweichler in den Reihen der Union und sagte, dass Merz den Preis für sein Taktieren in den vergangenen Monaten zahle.
Die Wahl verfolgten auf der Besuchertribüne unter anderen Merz’ Frau und Töchter. Die frühere Kanzlerin Angela Merkel war nur zum ersten Wahlgang zugegen. Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD hatten am Montag den Koalitionsvertrag des schwarz-roten Bündnisses unterzeichnet. Die Unionsfraktion hatte zudem Jens Spahn zum Fraktionschef und Nachfolger von Merz auf diesem Posten gewählt – Merz hat also derzeit außer dem CDU-Vorsitz kein Amt inne. In der SPD wurde Matthias Miersch als Vorsitzender der Fraktion vorgeschlagen.
(Redigiert von Ralf Bode.)