– von Holger Hansen
Berlin (Reuters) – Deutschland hat sein Klimaziel für das Jahr 2024 formal erreicht, droht die Etappenziele zur Klimaneutralität 2045 aber deutlich zu verfehlen.
Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten Prüfbericht des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen hervor. Die Gesamtemissionsmenge für Treibhausgase im Zeitraum 2021 bis 2030 werde nach aktuellen Berechnungen zwar noch knapp eingehalten. Aber schon die geplante Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes 2030 auf 65 Prozent des Jahres 1990 werde mit 63 Prozent verfehlt. “Es ist also keine Entwarnung, dass das Budget eingehalten wird”, sagte die Vizechefin des Expertenrats, Brigitte Knopf. “Sondern letztlich werden alle anderen Ziele im Klimaschutzgesetz nicht eingehalten.” Von der Bundesregierung versprechen sich die Experten bislang kaum positive Impulse.
Die fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnten zudem, der Rückgang der Treibhausgas-Emissionen 2024 sei vom milden Winter begünstigt worden und daher teilweise nur witterungsbedingt. Auch die schwache Konjunktur habe dazu beigetragen, dass weniger Energie verbraucht worden sei. Ein “relevanter Teil” sei aber durch strukturelle Entwicklungen erreicht worden: Dazu gehörten der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Rückbau von Kohlekraftwerken.
HENNING: OHNE PUFFER AUS VORJAHREN WÜRDE BUDGET VERFEHLT
Der Chef des Expertenrats, Hans-Martin Henning, wies darauf hin, dass etwa durch den Einbruch der Wirtschaft in der Corona-Pandemie und die schwächelnde Konjunktur in den vergangenen Jahren weniger CO2 ausgestoßen worden sei. “Ohne diesen Puffer wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine doch merkliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen”, sagte Henning mit Blick auf die derzeitigen Berechnungen.
Formell sieht der Expertenrat daher keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für die Regierung für Sofortmaßnahmen. Im vorigen Jahr war der Expertenrat noch davon ausgegangen, dass das Gesamt-Emissionsbudget 2030 überschritten werde. Wären die Experten erneut zu diesem Ergebnis gekommen, hätte die Regierung umgehend zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen beschließen müssen.
REGIERUNG MUSS MASSNAHMENPROGRAMM BIS MÄRZ 2026 VORLEGEN
Die neue Bundesregierung muss aber innerhalb von zwölf Monaten nach Beginn einer neuen Wahlperiode ein Maßnahmenprogramm vorlegen, wie das Klimaziel für 2040 erreicht werden soll – also bis Ende März 2026. Das ergibt sich aus dem Klimaschutzgesetz. Für diesen Zeitraum sieht der Expertenrat deutlichen Handlungsbedarf: Nach derzeitigen Berechnungen würden die nationalen Klimaziele im Jahr 2040 wie auch die jährlichen Minderungsziele deutlich verfehlt. Dies müsse die Regierung im Klimaschutzprogramm “vollständig adressieren”. Das Ziel der Klimaneutralität ab 2045 würde demnach klar verfehlt.
Skeptisch äußerte sich der Expertenrat zu den angekündigten Maßnahmen im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Zwar seien dort zahlreiche klimapolitisch relevante Vorhaben aufgeführt, etwa zur Gebäudesanierung oder Infrastruktur. Doch die Ausgestaltung sei noch offen. In der Summe sei eher mit neutralen oder leicht emissionssteigernden Effekten zu rechnen. “Das bedeutet auch, dass vom Koalitionsvertrag kein nennenswerter positiver Impuls für die Sicherstellung der Zielerreichung 2030 ausgeht”, sagte Knopf.
In der Bundesregierung wurde dagegen darauf verwiesen, dass das durch eine Grundgesetzänderung ermöglichte, aus neuen Schulden finanzierte Sondervermögen von 500 Milliarden Euro auch 100 Milliarden Euro für Vorhaben vorsehe, die dem Klimaschutz dienten. Davon erwarte sich die Regierung durchaus Impulse.
Die Grünen forderten die Regierung auf, den Ausbau der Erneuerbaren Energien fortzusetzen sowie die Flottengrenzwerte für den Schadstoffausstoß von Autos zu verteidigen und die hohen Investitionen in die Schiene fortzuführen. “Andernfalls steuern Union und SPD mit Ansage in eine neue Klimaschutzlücke”, erklärte Vizefraktionschefin Julia Verlinden.
(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)