Wohnungsbau-Boom ade – Erstmals seit 2011 weniger gebaut

Berlin (Reuters) – Lieferengpässe und steigende Materialpreise haben dem Wohnungsbauboom in Deutschland 2021 ein vorläufiges Ende bereitet.

Nur 293.393 Wohnungen wurden fertiggestellt und damit 4,2 Prozent oder 12.983 weniger als im Jahr davor, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. “Der 2011 begonnene jährliche Anstieg der Zahl fertiggestellter Wohnungen setzte sich damit 2021 nicht weiter fort.” Das Ziel der Ampel-Koalition von jährlich 400.000 neuen Wohnungen wurde damit klar verfehlt. Bundesbauministerin Klara Geywitz äußerte sich enttäuscht über den Rückgang. Die Zahlen 2021 “können mich als Bauministerin nicht zufriedenstellen”, sagte die SPD-Politikerin. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) geht davon aus, dass auch in diesem Jahr nicht mehr Wohnungen gebaut werden.

Als “Vorbote eines dramatischen Einbruchs beim Wohnungsbau in Deutschland” sieht der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) die aktuellen Wirtschaftsdaten. “Infolge von Lieferkettenproblemen, Material- und Fachkräftemangel, Preisexplosionen und dem unsäglichen Förderchaos rund um die KfW-Mittel wird das Nicht-Erreichen der Bauziele künftig zementiert”, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) forderte Bund und Länder auf, “in den Turbogang zu schalten” und dringend ein “Sonderpaket sozialer Wohnungsbau” zu schnüren. “Allein die Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für den sozialen Wohnungsbau würde einen enormen Zuschusseffekt bringen”, sagte IG-BAU-Chef Robert Feiger.

Als Ursachen für die maue Entwicklung machte Geywitz Lieferengpässe, Rohstoffknappheit und Preissteigerungen aus. “Auf diese extrem schwierigen Bedingungen hat der deutsche Staat kaum Einfluss”, erklärte sie. Aber der Bund wolle Genehmigungs- und Planungsprozesse digitalisieren, die Länderbauverordnungen harmonisieren und den von der Branche geforderten seriellen Bau erleichtern. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) sieht die Politik am Zug. “Neben einer belastbaren Förderkulisse sowie der Entschlackung von Vorschriften brauchen wir einen Planungs- und Genehmigungsbooster”, mahnte HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller.

BAUÜBERHANG KLETTERT AUF HÖCHSTEN STAND SEIT 1996

Derweil stieg die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen 2021 um 3,3 Prozent auf 380.736 und lag damit weiter deutlich über den Baufertigstellungen. Dies führte zu einem Überhang von genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen von insgesamt 846.467 – ein Plus von 67.035. “Der seit 2008 anhaltende Anstieg des Bauüberhangs beschleunigte sich somit im Jahr 2021 und erreichte den höchsten Stand seit 1996”, erklärten die Statistiker. Nach Ansicht von Geywitz zeigt der Bauüberhang, “dass in den nächsten Jahren ausreichend Wohnraum in Deutschland gebaut werden kann – wenn sich die Bedingungen verbessern”.

Die Baubranche warnt aber bereits vor weiterem Gegenwind im Wohnungsbau für 2023. Denn Bauherren verschieben demnach bereits Projekte oder stornieren sie sogar ganz. Zudem verteuert sich mit anziehenden Kreditzinsen gerade die Finanzierung.

Der Ukraine-Krieg trifft die lange Jahre boomende deutsche Bauindustrie mit voller Wucht und sorgt über verschärfte Lieferkettenprobleme und Materialengpässe dafür, dass die Branche ihre Ziele für 2022 längst einkassiert hat. Man erwarte für die realen Umsätze nur noch “eine Entwicklung zwischen Null und minus zwei Prozent”, sagte HDB-Präsident Peter Hübner jüngst. Zum Jahreswechsel lag die Prognose noch bei 1,5 Prozent Wachstum. “Wir wollen bauen, wir sollen bauen, aber wir können oft nicht bauen.”

Die Zahl der neuen Einfamilienhäuser sank im vergangenen Jahr um 10,4 Prozent auf 78.209, die der Mehrfamilienhäusern um 3,6 Prozent auf 147.925. Bei Zweifamilienhäusern gab es einen Rückgang von 1,7 Prozent auf 20.118 Wohnungen.

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