– von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) – Friedrich Merz hat nicht viel Zeit zu verlieren.
Der 69-Jährige weiß, dass die schwarz-rote Not-Koalition in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode keine schwierigen Reformen mehr umsetzen können dürfte. Also ist er an diesem Freitag bereits fünf Minuten vor Beginn seiner ersten Sommerpresskonferenz im vollgepackten Saal der Bundespressekonferenz und stellt sich den Fotografen. Bevor er in die kurze Sommerpause entschwindet, will er Rechenschaft über die ersten Wochen seiner Kanzlerschaft ablegen – und dafür sorgen, dass die Menschen den Glauben an die Regierung und ihn nicht verlieren. Das ist bitter nötig. Denn nach einer missglückten Kommunikation über die Entlastung im Energiesektor und einer missglückten Richterwahl vergangenen Freitag brechen die Zustimmungswerte für CDU/CSU und ihn selbst in Umfragen schon wieder ein – der Koalitionspartner SPD verharrt auf einem sehr niedrigen Niveau.
Deshalb betätigt sich Merz am Freitag vor allem als Optimismus-Einpeitscher in einem Land, das seiner Meinung nach zu sehr an sich zweifelt. “Deutschland ist stark genug, um diese Aufgaben auch aus eigener Kraft lösen zu können”, betont er. Nach einem Gespräch mit internationalen Finanziers sei er selbst überrascht, wie positiv Deutschland als Investitionsstandort gesehen werde. Zurecht würden erste Wirtschaftsinstitute ihre Prognosen anheben.
Auch wenn Merz bei der Frage nach der “Wir schaffen das”-Aussage der früheren Kanzlerin Angela Merkel an gleicher Stelle vor zehn Jahren sagt, dass man beim Thema Migration eben bisher die Probleme nicht gelöst habe, tritt letztlich auch er als “Wir schaffen das”-Kanzler auf – nur im Bereich Wirtschaft. “Für uns ist so häufig das Glas halb leer, statt mal zu sagen, es ist halb voll. Ich würde sogar sagen, es ist dreiviertel voll”, sagt Merz mit großer Bestimmtheit. Denn er weiß aus seiner Wirtschaftszeit noch, wie wichtig Psychologie und der Glaube an mögliche gute Geschäfte für Investitionen ist.
Wie die Regierungschefs vor ihm gibt er sich vor der Sommerpause deshalb selbstbewusst, zufrieden mit der eigenen Arbeit und – trotz der missglückten Richterwahl – dem Zusammenhalt in der Koalition. Er muss beruhigend wirken. Denn Sommerpausen sind für Koalitionen immer kritische Moment, weil für Hinterbänkler in Interview-Äußerungen die disziplinierende Rolle der Chefs fehlt.
Für einige koalitionsinterne Irritationen sorgte der Kanzler allerdings selbst. Erst hatte er entgegen des Koalitionsvertrages mehrfach die europäische Lieferkettenrichtlinie infrage gestellt. Am Dienstag stellte Merz dann die internationale Mindestbesteuerung für Firmen nach einem Besuch im bayerischen Kabinett zur Disposition. Am Mittwoch fing ihn Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil bei dem Thema wieder ein.
Umso mehr will Merz Normalität demonstrieren und auf die vielen Gesetze verweisen, die seine Koalition tatsächlich schon auf den Weg gebracht hat. Wie sein Vorgänger Olaf Scholz, aber in freundlicherem Ton zeigt er sich aber letztlich unzufrieden, dass die für ihn wichtigen Themen für Deutschland bei den vielen Journalisten-Fragen gar nicht angesprochen werden. Der Koalitionsvertrag bringe das Land doch gerade in den Teilen wirklich voran, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen würden. Dazu gehörten – Forschung, Entwicklung, Innovation, Quantencomputing, KI, auch mit der Digitalisierung und der Staatsmodernisierung.
Dann sind die 90 Minuten um – und Merz muss sich wieder um die Außen- und Europapolitik kümmern. Erst telefoniert er mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dann empfängt er den rumänischen Präsidenten Nicușor Dan im Kanzleramt.
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