Berlin (Reuters) – Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal wegen des Zollstreits mit ihrem wichtigsten Handelspartner USA geschrumpft.
Das Bruttoinlandsprodukt nahm von April bis Juni um 0,1 Prozent zum Vorquartal ab, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch zu seiner ersten Schätzung mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten dies so erwartet. In den ersten drei Monaten des Jahres hatte es noch zu einem Wachstum von revidiert 0,3 (bisher: 0,4) Prozent gereicht. Im Frühjahr sanken die Investitionen in Gebäude sowie in Ausrüstungen wie Maschinen und Anlagen. “Die privaten und staatlichen Konsumausgaben stiegen dagegen”, erläuterte das Statistikamt.
Experten führen das Auf und Ab der deutschen Konjunktur in der ersten Jahreshälfte nicht zuletzt auf den Handelskonflikt mit den USA zurück. “Die ersten beiden Quartale waren für die deutsche Wirtschaft stark von der spektakulären Zollpolitik der USA beeinflusst”, sagte DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. “Zuerst gab es Vorzieheffekte bei der Produktion, im zweiten Quartal wurde dann hauptsächlich abgewartet, wie sich die außenwirtschaftlichen Bedingungen entwickeln.” Die Konjunkturdynamik dürfte auch im zweiten Halbjahr dürftig bleiben, “insbesondere im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarn”.
Andere große Euro-Länder schnitten im zweiten Quartal weit besser ab. Frankreich, die nach Deutschland zweitgrößte Volkswirtschaft der Währungsunion, schaffte ein Plus von 0,3 Prozent. Spanien kam sogar auf ein Wachstum von 0,7 Prozent. Von den großen Vier schrumpfte nur Italien, dessen Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent abnahm. Die Euro-Zone insgesamt wuchs im zweiten Quartal um 0,1 Prozent.
Das leichte Minus für Deutschland im Frühjahr dürfte allerdings auch auf Sonderfaktoren zurückgehen, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: “So haben die späte Lage des Osterfestes sowie zollbedingte Vorzieheffekte das erste Quartal begünstigt und das zweite Quartal entsprechend belastet.”
BLUTLEERER AUFSCHWUNG ERWARTET
Mit dem am Sonntag erzielten Zolldeal hat die Europäische Union zwar einen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten abgewendet. Durch das mit Präsident Donald Trump vereinbarte Rahmenabkommen wird künftig aber ein hoher Zollsatz von 15 Prozent in der weltgrößten Volkswirtschaft fällig. Bundeskanzler Friedrich Merz sieht durch die vereinbarten Abgaben eine “erhebliche Belastung” auf die heimische Industrie zukommen. “Der Zolldeal mit den USA wird neue Wachstumseinbußen nach sich ziehen”, warnte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. Die Vereinigten Staaten sind der größte Abnehmer von Waren “Made in Germany”: 2024 setzten die deutschen Exporteure dort mehr als 161 Milliarden Euro um. Hinzu kommt, dass der Euro seit Jahresbeginn kräftig aufgewertet hat. Das verteuert deutsche Waren in anderen Währungsräumen.
Der Ifo-Geschäftsklimaindex – das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer – stieg im Juli zwar den fünften Monat in Folge. Es verharrt aber auf vergleichsweise niedrigem Niveau. “Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft bleibt blutleer”, sagte deshalb Ifo-Präsident Clemens Fuest. Für das laufende Jahr sagen die Münchner Forscher lediglich ein Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Europas größte Volkswirtschaft war sowohl 2023 als auch 2024 geschrumpft.
Auch ein Konsumboom ist nicht in Sicht. Die Verbraucher zeigten sich zuletzt knausrig: Das für August berechnete Konsumklima-Barometer trübte sich um 1,2 auf minus 21,5 Punkte ein, wie die Institute GfK und NIM zu ihrer Umfrage mitteilten. “Die Verbraucher halten es mehrheitlich nach wie vor für ratsam, das Geld eher zurückzuhalten und nicht für größere Anschaffungen zu verwenden”, sagte NIM-Experte Rolf Bürkl.
Dafür könnten die Investitionen wieder Tritt fassen. “Denn mit den beschleunigten Abschreibungsregeln, einer reduzierten Unsicherheit in Bezug auf die US-Handelspolitik, einer generell etwas besseren Stimmung und der Aussicht auf massive staatliche Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung stehen die Aussichten auf ein positives Wachstum gut”, sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia.
Ein kräftiger Aufschwung wird allerdings erst 2026 erwartet. Die Commerzbank rechnet dann mit einem Plus von 1,4 Prozent, “weil die Bundesregierung in großem Umfang Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen verschiebt und die freigewordenen Mittel rasch ausgibt und die Konjunktur so anfacht”, wie Chefvolkswirt Krämer erläuterte.
(Bericht von Rene Wagner und Reinhard Becker, redigiert von Kerstin Dörr. – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)