Kiew/Moskau (Reuters) – Trotz eines Ultimatums von US-Präsident Donald Trump zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine treibt Russland seine Offensive mit unverminderter Härte voran.
Die Hauptstadt Kiew wurde in der Nacht zu Donnerstag erneut mit zahlreichen Drohnen und Raketen angegriffen. Mindestens sechs Menschen wurden getötet, darunter ein sechsjähriger Junge und seine Mutter, wie ukrainische Behördenvertreter mitteilten. Explosionen erschütterten die Metropole demnach stundenlang, während Flammen den Nachthimmel erhellten. Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser seien getroffen worden. “Heute hat die Welt erneut Russlands Antwort auf unseren Wunsch nach Frieden gesehen, den wir mit Amerika und Europa teilen”, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dem Kurznachrichtendienst X.
“Das ist ein schrecklicher Morgen für Kiew”, erklärte Außenminister Andrij Sybiha. Insgesamt griff Russland die Ukraine in der Nacht Selenskyj zufolge mit mehr als 300 Drohnen und acht Raketen an. Ein Großteil der Drohnen und drei Raketen konnten nach Angaben der Luftwaffe abgefangen werden. Dennoch habe es an zwölf verschiedenen Orten fünf direkte Raketeneinschläge sowie 21 Drohnen-Treffer gegeben. Andere Behördenvertreter sprachen sogar von Treffern an 27 verschiedenen Stellen in Kiew. Neben den Toten wurden mindestens 82 Verletzte gemeldet. Darunter seien auch neun Kinder, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko mit. Noch nie seien so viele Kinder in einer einzigen Nacht verletzt worden, seit der Krieg vor fast dreieinhalb Jahren offen ausbrach.
SUCHE NACH ÜBERLEBENDEN
In der ganzen Stadt löschten Einsatzkräfte Brände und suchten unter Betontrümmern nach Überlebenden. Selenskyj veröffentlichte ein Video, das brennende Ruinen zeigt. Es seien immer noch Menschen unter einem teilweise eingestürzten Wohnhaus, erklärte der Präsident. Neben einem beschädigten Gebäude stand Jurij Krawtschuk mit einem Verband um den Kopf und in eine Decke gehüllt. Er habe den Raketenalarm zwar gehört, es aber nicht mehr rechtzeitig in einen Schutzraum geschafft, sagte der 62-Jährige der Nachrichtenagentur Reuters. “Ich wollte gerade meine Frau wecken, da gab es eine Explosion. Meine Tochter kam ins Krankenhaus.”
“Dies ist die Antwort von (Russlands Präsident Wladimir) Putin auf Trumps Fristen”, sagte die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko. “Die Welt muss mit einem Tribunal und maximalem Druck antworten.” Trump hatte Russland am Dienstag “in zehn Tagen” mit Strafzöllen und anderen Maßnahmen gedroht, wenn Moskau nicht zeige, dass es den Konflikt beenden wolle.
Von Russland lag zunächst keine Stellungnahme vor. Moskau hat wiederholt erklärt, Zivilisten nicht ins Visier zu nehmen.
VORMARSCH IM OSTEN
Parallel zu den Angriffen auf Kiew setzte Russland auch seinen Vormarsch im Osten der Ukraine fort. Am Donnerstagmorgen meldete das Verteidigungsministerium die “Befreiung” der seit 16 Monaten umkämpften Kleinstadt Tschassiw Jar. Die Angaben ließen sich unabhängig nicht bestätigen. Sollte die Eroberung jedoch zutreffen, wäre das für Russland ein bedeutender strategischer Erfolg, denn von Tschassiw Jar aus könnte das Militär auf weitere wichtige Städte in der Region Donezk vorstoßen, darunter Kostjantyniwka, Slowjansk und Kramatorsk. Die ukrainische Kartierungsplattform DeepState, die Frontverläufe nachzeichnet, wies allerdings westliche Teile von Tschassiw Jar als noch nicht von Russland eingenommen aus.
Die Schlacht um Tschassiw Jar tobt seit April 2024. Vor dem Krieg lebten dort 12.000 Menschen. Inzwischen liegt der Ort in Trümmern. Nur wenige Kilometer weiter östlich liegt Bachmut, das 2023 nach einer der blutigsten Schlachten des Kriegs von Russland erobert wurde.
(Bericht von Dan Peleschuk, Anastasiia Malenko und Reuters in Moskau, geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Sabine Ehrhardt.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)