– von Holger Hansen
Berlin (Reuters) – Dem von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Beginn des Ukraine-Kriegs angekündigten 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für die Bundeswehr steht nichts mehr im Wege.
Die Bundesregierung verständigte sich am Sonntagabend mit der Union auf eine Grundgesetzänderung. Damit gilt die Schuldenbremse nicht für das Sondervermögen, das entgegen bisherigen Forderungen der Grünen allein der Bundeswehr zugutekommen soll. Mit dem Geld soll über fünf Jahre der reguläre Verteidigungsetat von rund 50 Milliarden Euro aufgestockt werden. Damit soll Deutschland das Nato-Ziel erfüllen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden – also derzeit etwa 70 Milliarden Euro jährlich. Der Bundestag soll dies nach Angaben aus der Koalition nach Möglichkeit noch in dieser Woche beschließen.
“Geschafft”, twitterte Finanzminister Christian Lindner in der Nacht zum Montag. Gemeinsam würden 100 Milliarden Euro Investitionen für die Bundeswehr gesichert. “Zugleich bleibt die Schuldenbremse für alle anderen Vorhaben erhalten”, unterstrich der FDP-Politiker. Gemeinsam verfügen Ampel-Fraktionen und Union über die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, um das Sondervermögen im Grundgesetz zu verankern. Mit der Ausnahme von der Schuldenbremse steht das Geld für den Fonds auch dann zur Verfügung, wenn Lindner wie angekündigt ab 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten will. Der Fonds soll sich über zusätzliche Schulden finanzieren.
Scholz hatte den Milliardenfonds drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar angekündigt. Von den Grünen verlangte Maßnahmen etwa zum Schutz vor digitalen Angriffen oder zur Ertüchtigung von Partnern werden laut Vereinbarung “aus dem Bundeshaushalt finanziert” und damit nicht aus dem Sonderfonds. Die Koalition sagte zu, dass der Wirtschaftsplan mit den konkreten Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr mit der Einrichtung des Fonds beschlossen werde.
NATO-ZIEL IM MEHRJÄHRIGEN DURCHSCHNITT
Im Bundesfinanzministerium waren am Sonntagabend unter anderem Lindner, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zusammengekommen. Das Nato-Ziel solle über fünf Jahre “im mehrjährigen Durchschnitt erreicht” werden, heißt es in der Mitteilung – also nicht unbedingt in jedem Jahr.
Die Union konnte nicht durchsetzen, dass das Zwei-Prozent-Ziel im Grundgesetz verankert wird. Auch in dem Reuters vorliegenden Entwurf für das Errichtungsgesetz des Fonds fehlt eine konkrete Zahl. Im am Sonntagabend vereinbarten Gesetzestext heißt es nun: “Nach Verausgabung des Sondervermögens werden aus dem Bundeshaushalt weiterhin die finanziellen Mittel bereitgestellt, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden Nato-Fähigkeitszielen zu gewährleisten.” Der Sonderfonds könnte für etwa fünf Jahre reichen, also bis Ende 2026.
Auch nicht durchsetzen konnte sich die Union offenbar mit der Forderung, bereits einen Tilgungsplan für die geplanten zusätzlichen Schulden zu vereinbaren. “Nach der Inanspruchnahme beginnt auch die Tilgung innerhalb eines angemessenen Zeitraums”, heißt es in der Mitteilung. Der Regierungsentwurf für das Gesetz zur Errichtung des Fonds sieht vor, dass die Tilgung erst nach Inanspruchnahme aller Mittel einsetzt.
Lambrecht muss zudem zur Verabschiedung des Gesetzes einen “Wirtschaftsplan mit den konkreten Beschaffungsvorhaben für das Sondervermögen” vorlegen, der mit dem Errichtungsgesetz beschlossen werden soll. Aus der Koalition hieß es am Sonntagabend: “Die 100 Milliarden Euro sind verplant.” In dem vereinbarten Entwurf für eine Gesetzesformulierung heißt es: “Die Mittel des Sondervermögens sollen der Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen, dienen.” Koalition und Union vereinbarten zudem, noch vor der Sommerpause “eine Initiative zur Beschleunigung der Beschaffung” auf den Weg zu bringen.