Tel Aviv/Jerusalem/Kairo (Reuters) – Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben am Mittwoch die ersten Schritte zur geplanten Einnahme von Gaza-Stadt eingeleitet.
Vorbereitende Maßnahmen und die ersten Phasen der Offensive seien gestartet worden, sagte Militärsprecher Effie Defrin vor der Presse. Vororte von Gaza-Stadt seien bereits eingenommen worden. Für den Angriff auf das größte städtische Zentrum des Gazastreifens berief das Militär 50.000 weitere Reservisten ein. Israels Regierung gab unterdessen die endgültige Zusage für den Bau des umstrittenen jüdischen Siedlungsprojekts E1 im besetzten palästinensischen Westjordanland. Die Bundesregierung verurteilte den Schritt als faktische Teilung des Gebiets.
Die Einberufungsbescheide für den Angriff auf Gaza-Stadt könnten in den kommenden Tagen verschickt werden, teilte das Militär mit. Der Großteil der Truppen für den Einsatz werde jedoch aus aktiven Soldaten bestehen. Die Reservisten sollen den Dienst im September antreten. Damit würde genügend Zeit für Verhandlungen über eine Waffenruhe berücksichtigt, hieß es am Mittwoch zunächst. Nach jüngsten Zusammenstößen des israelischen Militärs mit der Hamas machte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dann jedoch Tempo: Sein Büro erklärte, der Zeitplan für die Einnahme von Gaza-Stadt und den angestrebten Sieg über die Hamas werde gestrafft.
ANGESCHLAGENE GUERILLA-GRUPPE
Militärsprecher Defrin kündigte an, dass die Angriffe auf die Hamas in ihrer Hochburg Gaza-Stadt weiter intensiviert würden. Die radikal-islamische Palästinenser-Organisation sei nur noch eine “angeschlagene” Guerilla-Gruppe.
Die von Israel geplante Offensive hat international Kritik ausgelöst, weil dadurch wahrscheinlich viele weitere Palästinenser vertrieben würden. Viele der engsten Verbündeten haben Israel aufgerufen, dies zu überdenken. Netanjahu steht jedoch unter dem Druck einiger rechtsextremer Mitglieder seiner Koalition, eine vorübergehende Waffenruhe abzulehnen, den Krieg fortzusetzen und eine Annexion des Gazastreifens anzustreben.
Derzeit wird um eine Feuerpause im Gazastreifen gerungen. Die Hamas hat einen Vorschlag von Vermittlern angenommen. Die israelische Regierung prüft dies Insidern zufolge noch. Demnach geht es um eine 60-tägige Feuerpause und die Freilassung der Hälfte der noch in dem Küstengebiet festgehaltenen israelischen Geiseln. Doch wie aus israelischen Regierungskreisen verlautete, pocht Israel weiter auf die Freilassung sämtlicher 50 Geiseln. Nach Angaben Israels sind 20 von ihnen noch am Leben.
Der Krieg begann am 7. Oktober 2023, als Extremisten unter Führung der Hamas nach Israel eindrangen, dort 1200 Menschen töteten und 251 Geiseln nahmen. Bei der darauffolgenden israelischen Offensive im Gazastreifen wurden palästinensischen Angaben zufolge mehr als 62.000 Palästinenser getötet, das Küstengebiet weitgehend zerstört und der größte Teil der Bevölkerung mehrfach vertrieben.
Im Westjordanland liefere die israelische Regierung mit dem Projekt E1, was seit Jahren versprochen worden sei, erklärte der rechtsgerichtete israelische Finanzminister Bezalel Smotrich. “Ein palästinensischer Staat ist damit unmöglich geworden, nicht mit Slogans, sondern durch Handeln.” Israel hatte die Baupläne wegen des Widerstands der USA, europäischer Verbündeter und anderer Länder 2012 auf Eis gelegt. Nun sollen aber 3400 Wohneinheiten gebaut werden.
Die Bundesregierung verurteilte die Entscheidung zu dem Projekt E1 scharf. “De facto hätte das Ganze die Auswirkung, dass das Westjordanland in zwei Teile geteilt wird”, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Planungen für die Siedlung würden die Mobilität vor allem auch der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und in Ostjerusalem einschränken. Es würde extrem schwierig für die Palästinenser, sich in dem Gebiet noch zu bewegen. Sanktionen gegen Israel lehnte die Bundesregierung erneut ab.
(Bericht von Alexander Cornwell, Maayan Lubell, Nidal Al Mughrabi, Andreas Rinke und Lili Bayer; bearbeitet von Kerstin Dörr und Elke Ahlswede.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)