Regierung beschließt neuen Wehrdienst – Pflicht bleibt strittig

– von Markus Wacket

Berlin (Reuters) – Die Bundesregierung hat angesichts der russischen Bedrohung das umstrittene Wehrdienstgesetz beschlossen und will notfalls Rekruten auch zwangsweise einziehen.

Das Vorhaben setzt zwar zunächst auf Freiwilligkeit, bei einem Soldaten-Mangel kann aber auch eine Pflicht greifen, wie der am Mittwoch gebilligte Entwurf festlegt. “Wir sind damit wieder zurück auf dem Weg zu einer Wehrdienstarmee”, sagte Kanzler Friedrich Merz nach der Kabinettssitzung. Deutschland habe schon viel getan, um sich der Gefahr zu erwehren. “Das alles ist notwendig, aber es ist nicht ausreichend”, sagte er mit Blick auf Attacken durch Sabotage, Cyberangriffe oder Desinformation. Das Kabinett billigte zudem die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, der den bisherigen Bundessicherheitsrat ablösen soll. Ferner wurde ein Paket zum besseren Schutz rund um die Bundeswehr, etwa gegen Spionage und Drohnenüberflüge, auf den Weg gebracht.

Das Kabinett hatte demonstrativ im Bendlerblock, dem Verteidigungsministerium, getagt und das neue Wehrdienstgesetz beschlossen. Eine Sitzung im Verteidigungsressort hatte es zuletzt vor rund 30 Jahren gegeben. “Die politische Lage in Deutschland und in Europa zwingt uns gerade dazu, dass wir diese Tradition wieder aufleben lassen”, sagte Merz. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betonte: “Eine starke Armee, personell und materiell, ist das effektivste Mittel, um Kriege zu verhindern.” Eine gut ausgerüstete Truppe allein reiche aber nicht. Deutschland müsse insgesamt gestärkt werden: Das gelte für das Gesundheitssystem, die Energieversorgung sowie für Brücken, Straßen und Schienenwege.

WECHSEL VON FREIWILLIGKEIT ZU PFLICHT SORGT FÜR STREIT

Im Wehrdienstgesetz sorgt vor allem der mögliche Wechsel von der Freiwilligkeit zur Pflicht für Diskussionen zwischen SPD und Union, die das Pflicht-Element gestärkt sehen will. Dies möchte sie nun im parlamentarischen Verfahren durchsetzen. Bereits im Vorfeld der Kabinettssitzung hatte Außenminister Johann Wadephul (CDU) ein Veto gegen das Gesetz eingelegt, dies aber kurz darauf zurückgezogen. Im jetzt beschlossenen Entwurf ist verankert, dass eine Pflicht erst nach neuem Beschluss der Bundesregierung und des Bundestages greifen kann.

Bis 2029 sollen mit dem Dienst, der mindestens sechs Monate dauern muss, vor allem rund 100.000 ausgebildete Reservisten gewonnen werden – möglichst auf freiwilliger Basis. Damit könnte die jetzige Zahl verdoppelt werden. Darüber hinaus will die Bundeswehr in Absprache mit der Nato die aktiven Streitkräfte von jetzt gut 180.000 auf 260.000 ausbauen. Ziel ist es, die Bundeswehr auf insgesamt 460.000 Soldaten anwachsen zu lassen. Der Gesetzentwurf markiert aber die bedeutendste Wende in der deutschen Wehr- und Sicherheitspolitik seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011.

Als erster Schritt sollen alle wehrpflichtigen Männer, beginnend mit dem Jahrgang 2008, wieder erfasst und zu einer verpflichtenden Online-Befragung über ihre Bereitschaft und Fähigkeiten für den Dienst an der Waffe aufgefordert werden.

NATIONALER SICHERHEITSRAT EINGERICHTET

Zur besseren Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik hat die Regierung zudem einen Nationalen Sicherheitsrat (NSR) eingerichtet, der den bisherigen Bundessicherheitsrat ablöst. Das Gremium wird vom Bundeskanzler geleitet, Stellvertreter ist der Vize-Kanzler. Dem Gremium gehören zudem Minister und Ministerinnen der Außen-, Finanz-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Digitalressorts sowie der Chef des Kanzleramts an. Zudem sollen je nach Thema auch Vertreter der Bundesländer, verbündeter Staaten oder Wissenschaftler hinzugezogen werden.

Das neue Gremium soll zum einen die Erfassung des sicherheitspolitischen Lagebildes in Deutschland verbessern. Zum anderen soll es die strategische Vorausschau und Planung stärken. Ziel ist es, neben aktuellen Ereignissen auch mittel- und langfristige Bedrohungslagen zu erkennen, Handlungsoptionen zu entwickeln und entsprechende Vorbereitungen zu treffen.

(Weitere Reporter: Andreas Rinke; redigiert von Sabine Ehrhardt Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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