Merz schwört deutsche Diplomaten auf interessengeleitete Außenpolitik ein

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU) haben die deutschen Diplomaten auf eine stärker interessengeleitete Außenpolitik Deutschlands und Europas eingeschworen.

“Unsere Außenpolitik ist geleitet von dem Anspruch, deutsche Interessen und Werte zu vertreten. Wir wollen Deutschland und Europa für die Zukunft sicher und wettbewerbsfähig gestalten”, sagte der Kanzler am Montag bei der Eröffnung der jährlichen Botschafterinnen- und Botschafterkonferenz im sogenannten Weltsaal des Außenministeriums. Ähnlich äußerte sich Außenminister Johann Wadephul. Merz sprach als erster Kanzler seit 25 Jahren auf einer deutschen Botschafterkonferenz.

Dass Deutschland Verantwortung übernehme, entspringe aber nicht “Hybris oder Überheblichkeit”, betonte der Kanzler. Vielmehr sei es “eine Verantwortung, die uns aus der geostrategischen Lage unseres Landes zukommt und die wir wahrnehmen müssen”. Dies geschehe im eigenen, aber auch im Interesse der gesamten Europäischen Union.

Ausdrücklich lobte Merz die EU, die auf dem Kontinent mehr als sieben Jahrzehnte für Freiheit, Wohlstand und Frieden zwischen den Völkern gesorgt habe, weil sie Interessen ausgleiche und Konflikte schlichte. “Wenn man die Kriege in der Nachbarschaft betrachtet und die neue Leidenschaft in der Welt für die Macht des Stärkeren, dann können wir mit Fug und Recht sagen: Wir können das besser. Wir haben die Europäische Union.”

Außenminister Wadephul hatte die EU zuvor als “rechtsstaatliche Supermacht” bezeichnet und betont, dass Wirtschaftspolitik wichtiger Pfeiler der deutschen Außenpolitik sein sollte. “Es muss Kernaufgabe unserer Diplomatie sein, der deutschen Wirtschaft im Ausland den Weg zu ebnen”, betonte Wadephul. Er verwies darauf, dass er verstärkt Wirtschaftsdelegationen mit auf seine Auslandsreisen nehme. Sowohl Merz als auch Wadephul sprachen von einer “Außenpolitik aus einem Guss”. Dies ist eine Anspielung auf die meist parteipolitischen Dissonanzen zwischen Kanzleramt und Außenministerium in den vergangenen Jahrzehnten.

MERZ FÜR NEUES HANDELSSYSTEM – ANDERE ROLLE GEGENÜBER USA

Merz forderte, dass Deutschland und die Europäer angesichts der US-Zollpolitik und der nach seiner Einschätzung nicht mehr funktionierenden Welthandelsorganisation (WTO) selbst ein neues System an regelbasiertem Handel aufbauen müssten.

Mit Blick auf die USA betonte er, dass die Vereinigten Staaten zwar allgemein wichtigster Partner blieben. “Aber es zeichnet sich ab, dass diese Partnerschaft weniger selbstverständlich sein wird”, fügte der Kanzler hinzu. Die USA bewerteten ihre Interessen neu. “Und so müssen auch wir in Europa unsere Interessen justieren, ohne falsche Nostalgie.”

Gegenüber China forderte der Kanzler eine stärker auf Sicherheit bezogene Politik. Man werde in der Klimapolitik oder bei globalen Krisen zusammenarbeiten. “Aber wir erkennen gleichzeitig, die Systemrivalität nimmt zu”, betonte Merz. Im Sinne von Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit müsse eine Diversifizierung mit Blick auf Rohstoffe und Handelsketten Priorität haben.

Nötig seien dafür auch mehr EU-Handelsabkommen mit anderen Partnern. Ähnlich wie sein Vorgänger Olaf Scholz betonte Merz die Notwendigkeit, mit mehr Partnern in der Welt engere Beziehungen zu suchen. Dabei nannte er etwa Brasilien, Mexiko, Argentinien sowie die G20-Staaten, zu denen etwa auch Indien, Indonesien oder Südafrika gehören. “Ich werde in den kommenden Wochen zu einer Reihe von Reisen zu unseren Partnern jenseits des transatlantischen Raumes aufbrechen”, kündigte Merz an. “Auch das soll ein Signal setzen im Sinne des Leitprinzips strategischer Partnerschaften.”

Er warf Russland und China zudem vor, sich in Südosteuropa Einflusssphären sichern zu wollen, und kritisierte Russlands Präsident Wladimir Putin scharf für dessen Überfall auf die Ukraine. “Alles deutet darauf hin, dass Putins imperialistischer Plan nicht mit der Eroberung der Ukraine endet, sondern damit erst beginnen wird”, warnte Merz. Man erlebe tägliche hybride Angriffe Russlands auf die Infrastruktur auch in Westeuropa.

Merz und Wadephul unterstrichen, dass Deutschland ab 2027 wieder einen der nicht-ständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat besetzen möchte. Wadephul verwies darauf, dass er für die deutsche Bewerbung auf der UN-Vollversammlung in New York werben werde. “Aber die Kandidatur ist keine Solo-Show des Ministers. Sie ist eine Teamaufgabe für uns alle”, betonte er. Kanzler Merz plant bisher nicht, selbst zur UN-Vollversammlung zu fliegen.

(Bericht von Andreas Rinke, redigiert von Elke Ahlswede. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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