– von Holger Hansen und Christian Krämer
Berlin (Reuters) – Für neue Solaranlagen auf Hausdächern soll es nach den Vorstellungen von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche keine staatliche Förderung mehr geben.
Die Aufdachanlagen machten sich auch so für deren Besitzer bezahlt, sagte die CDU-Politikerin am Montag in Berlin. Reiche stellte den von ihr beauftragten Monitoring-Bericht zur Energiewende vor und forderte eine Neuausrichtung der Energiepolitik mit einem Fokus auf Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit. Am Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und einem Ökostrom-Anteil von 80 Prozent bis 2030 hält Reiche fest. Das 2030er-Ziel sei aber auch mit einem langsameren Ausbau der erneuerbaren Energien erreichbar, da der Strombedarf geringer sein werde als erwartet.
Der Monitoring-Bericht war mit Spannung erwartet worden. Die Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI) und des Beratungsunternehmens BET Consulting soll Reiche dazu dienen, etwa die Ausbauziele für erneuerbare Energien neu zu justieren. Der Bericht geht für 2030 von einem Strombedarf zwischen 600 und 700 Terawattstunden und damit weniger als bislang erwartet aus.
Reiche bezeichnete die bisherige Annahme eines Strombedarfs von 750 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2030 als nicht mehr realistisch. Sie sehe den Bedarf eher “am unteren Ende” der genannten Bandbreite. Derzeit liege der Verbrauch bei 510 TWh. Als Gründe nannte sie die schleppende Elektrifizierung in der Industrie und im Verkehr sowie den hinterherhinkenden Einbau von Wärmepumpen. Da der Gesamtstromverbrauch geringer ausfalle als bisher erwartet, könne das 80-Prozent-Ziel auch bei einem optimierten und damit langsameren Ausbau erreicht werden.
AUSSCHREIBUNG NEUER GASKRAFTWERKE NOCH IN DIESEM JAHR
Reiche hält demnach eine Anpassung der Ausbaupläne für die Erneuerbaren Energien für notwendig. Sie verwies auf jüngste Ausschreibungen für Windkraft auf See, die ohne Gebote endeten. Grund seien sogenannte Verschattungseffekte durch zu dichte Bebauung, welche die Wirtschaftlichkeit der Projekte gefährdeten. Zudem will Reiche bei großen Anlagen für Wind und Photovoltaik wie von der EU gefordert von fixen Einspeisevergütungen auf Differenzverträge umstellen. Eine Förderung für private Dachanlagen mit Batteriespeichern sei nicht mehr nötig. Derzeit erhalten Hausbesitzer beim Bau einer Solaranlage auf dem Dach eine Zusage für 20 Jahre darüber, wie viel sie pro in das Netz eingespeister Kilowattstunde Strom erhalten. Derzeit sind es rund acht Cent. Der Betrag verringert sich mit der Zeit.
Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, will Reiche schnell neue Gaskraftwerke ausschreiben. Reiche sprach am Montag davon, dass diese wasserstofffähig sein sollten, nannte aber keine Details. Bisher hatte sie immer auch die Möglichkeit genannt, dass Gaskraftwerke statt auf Wasserstoff auch auf die Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung setzen könnten.
Die ersten Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke, die mit Milliardenbeträgen gefördert werden müssen, sollen noch Ende des Jahres starten. Bis 2027 soll zudem nach Möglichkeit ein technologieoffener Kapazitätsmarkt eingeführt werden, um die Stromversorgung auch in Zeiten ohne Wind und Sonne zu sichern. Daran könnten sich neben Gaskraftwerken auch Biomasse, Wasserkraft oder Großbatteriespeicher beteiligen.
Von Wirtschaftsverbänden erhielt Reiche Zuspruch, aber auch Widerspruch. “Am erheblichen Ausbaubedarf Erneuerbarer Energien ändert sich aus Sicht der Energiebranche nichts”, erklärte deren Lobbyverband BDEW. Mit den jetzigen Ausbauzielen erreiche man 2030 einen Anteil von 80 Prozent Erneuerbaren bei einem Stromverbrauch von 620 TWh. “Um diese Ziele zu erreichen, dürfen wir jetzt nicht im Tempo nachlassen”, forderte der Verband. Der Industrieverband BDI lobte das Reformpaket. Der Verband der Chemischen Industrie forderte einen Kurswechsel, damit Bezahlbarkeit wieder eine zentrale Rolle spiele.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie warnt vor einem Ausbremsen der Energiewende. Es brauche keine Neuausrichtung, sagte deren Chefin Simone Peter: “Es müssen bestimmte Dinge nachgebessert werden.” Die Deutsche Umwelthilfe warf Reiche vor, sie baue “weiter auf die verkürzten Vorschläge der Gaslobby” auf. Der Deutsche Naturschutzring warnte vor einer “energiepolitischen Vollbremsung”. Grünen-Energieexperte Michael Kellner äußerte die Befürchtung, Reiche wolle die Energiewende abbremsen: “Klimaschutz wird durch diese Regierung abgewickelt.”
Reiches Ankündigungen sind in der Koalition und der Regierung noch nicht abgestimmt. Die Regierung werde nun zügig eine Reihe von Gesetzen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Energiewirtschaftsgesetz überarbeiten und im Herbst mit den Koalitionsfraktionen beraten. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) hatte davor gewarnt, beim Ökostrom auf die Bremse zu treten. Eine Stellungnahme von ihm lag zunächst nicht vor.
Deutschland liegt beim Ausbau der erneuerbaren Energien zwar vorne. Ein inflexibles Stromnetz, mangelnde Speicherkapazitäten und eine schleppende Digitalisierung führen aber zu extremen Preisschwankungen und hohen Kosten. Millionen von Solaranlagen etwa speisen den Strom zur Mittagszeit ein und nicht während der Bedarfsspitzen am Morgen und Abend.
(Bericht von Holger Hansen und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)