Lagarde erneuert Forderung nach mehr Mehrheitsentscheidungen in der EU

Frankfurt (Reuters) – EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat ihre Forderung erneuert, in der EU mehr Entscheidungen mit qualifizierten Mehrheiten zu fällen statt nach dem Einstimmigkeitsprinzip.

Dies sei keine Schwächung der Demokratie, sagte Lagarde am Montagabend auf einer Veranstaltung in Paris. “Es ist vielmehr die einzige Möglichkeit, sie in vollem Umfang auszuüben.” Ressourcen und Kapazitäten müssten gebündelt werden, um in strategischen Bereichen die erforderliche Größe zu erreichen. Den Bürgern werde dadurch ihre Fähigkeit zurückgegeben, Ereignisse zu gestalten. Für Europa bedeute das Unabhängigkeit in einer Welt rivalisierender Mächte, in der Größe und Skaleneffekte von entscheidender Bedeutung seien.

“So werden Entscheidungen bei der EZB getroffen – und es funktioniert”, sagte Lagarde. Nationale Politik könne keine global wettbewerbsfähigen Unternehmen in Branchen hervorbringen, in denen kritische Größe das Hauptproblem sei. Damit befinde sich Europa aber in einer Sackgasse. “Entweder sind wir gezwungen, uns auf teure, zweitklassige inländische Produkte zu verlassen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit untergraben, oder wir bleiben genau den Abhängigkeiten verhaftet, die wir eigentlich abbauen wollen.” Der einzige Ausweg sei ein neuer europäischer Ansatz in der Wirtschaftspolitik, verbunden mit einer neuen Art der Entscheidungsfindung.

Lagarde wies in diesem Zusammenhang auf Schätzungen des Europäischen Rechnungshofs hin, der es für sehr unwahrscheinlich hält, dass Europa sein Ziel erreichen wird, bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Halbleiterproduktion zu erreichen. Bei Batterien halte die EU nur zehn Prozent der weltweiten Kapazität, während allein das chinesische Unternehmen CATL 40 Prozent kontrolliere, sagte die EZB-Chefin. Und 2024 hätten im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) US-Institutionen 40 bemerkenswerte Modelle produziert, Europa indes nur drei.

Lagarde erwähnte auch das Projekt eines digitalen Euro. Dieser biete eine Alternative zu ausländischen Zahlungssystemen und habe das Potenzial, die Reichweite des Euro bei grenzüberschreitenden Transaktionen zu vergrößern. “Dieser Fortschritt wird jedoch durch Unentschlossenheit behindert”, kritisierte sie. Der digitale Euro warte noch immer auf einen Rechtsakt. Die EU-Kommission hatte im Juni 2023 ihren Gesetzesvorschlag für einen digitalen Euro vorgelegt. Danach hatte die EU-Wahl 2024 die Arbeiten des EU-Parlaments am digitalen Euro verzögert. Viel ist seitdem noch nicht passiert. Ursprünglich war erwartet worden, dass die nötige EU-Gesetzesgrundlage bis diesen Herbst steht.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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