Studie: USA bei Importen stärker von EU abhängig als von China

Berlin (Reuters) – Die USA sind einer Studie zufolge stärker von Importen aus der Europäischen Union abhängig als von Lieferungen aus China.

Bei 3120 verschiedenen Warengruppen liege der EU-Anteil bei den US-Importen bei mindestens 50 Prozent, wie aus der Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hervorgeht. Dazu gehörten vor allem chemische Produkte, aber auch Maschinen, Geräte, elektrotechnische Waren sowie unedle Metalle. Es gehe um spezielle Hormone über Frontschaufellader bis hin zu Röntgenröhren. Das entspreche 17,5 Prozent der rund 17.800 Warengruppen, die die USA im vergangenen Jahr aus aller Welt einführten. Dahinter stehe ein summierter Importwert von rund 290 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: China kommt den Angaben zufolge auf 2925 Waren mit mindestens 50 Prozent Importanteil im Wert von 247 Milliarden Dollar.

“Die US-Importabhängigkeit von der EU hat seit 2010 stark zugenommen”, heißt es in der Studie, die der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag vorab vorlag. So sei der Einfuhrwert um fast 150 Prozent gestiegen. “Uns hat das Ergebnis selbst überrascht”, sagte Co-Autor Jürgen Matthes, der beim IW den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte leitet. “Offensichtlich ist die Abhängigkeit der USA von Lieferungen aus Europa höher als gedacht – und insgesamt sogar größer als von Lieferungen aus China.” Im Vergleich mit der Volksrepublik liegt die EU demnach inzwischen klar vorn – sowohl bei der Anzahl als auch beim Gesamtwert der Waren mit einem Mindestanteil von 50 Prozent an den US-Importen. “Im Zuge eines offensichtlichen De-Riskings hat sich die US-Importabhängigkeit von China im Zeitverlauf deutlich verringert”, liefert das IW eine Erklärung dafür.

“EU HÄTTE SELBSTBEWUSSTER AUFTRETEN KÖNNEN”

Angesichts der US-Abhängigkeit von europäischen Gütern wirkt es zunächst überraschend, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei US-Präsident Donald Trump im Juli nur einen als hoch angesehenen Zoll von 15 Prozent herausschlagen konnte. Das wesentliche kleinere Großbritannien etwa kommt mit zehn Prozent davon. “Die EU hätte in den Handelsgesprächen selbstbewusster auftreten können”, schlussfolgert IW-Expertin und Co-Autorin Samina Sultan aus den Daten. Allerdings habe immer im Raum gestanden, dass die USA ihre Unterstützung für die Ukraine zurückziehen könnten. Sicherheits- und Wirtschaftspolitik seien hier vermischt worden. “Deshalb hat es für die Europäer keine Ideallösung gegeben”, sagte Sultan. “Das Ergebnis spiegelt die Realpolitik wider.”

Die Juli-Einigung sei allerdings alles andere als wasserdicht. Trump hat danach etwa Vergeltung bei regelkonformen EU-Geldstrafen für US-Digitalkonzerne angedroht. “Es gibt also das Risiko, dass der Handelsstreit doch wieder eskaliert”, sagte Sultan. Deshalb sei das Studienergebnis so relevant. “Man kann damit den Amerikanern klarmachen: Wenn ihr die Zölle weiter heraufsetzt, schneidet ihr euch auch ins eigene Fleisch”, sagte Sultan. “Das kommt euch teuer zu stehen.”

“KEIN NEUES SCHLACHTFELD ERÖFFNEN”

Wie sehr die USA diese Waren aus der EU brauchen und wie schwer sie diese ersetzen könnten, lässt sich aus den Handelsdaten allein noch nicht vollständig ableiten. “Dazu müssten die Lieferketten noch genauer durchleuchtet werden, etwa mithilfe von Unternehmens- und Logistikdaten”, sagte Matthes. “Aber unsere Studie ist hier ein erster wichtiger Aufschlag.”

So entfallen etwa 15 Prozent des US-Importwerts aus der EU auf Waren einer von den IW-Forschern extra gebildeten Schwerpunktgruppe: Hier liegt der Importanteil in den vergangenen fünf Jahren beständig bei mindestens 50 Prozent. Zudem gelten diese Güter wegen ihres Industriebezugs als potenziell relevant für industrielle Wertschöpfungsketten.

Von Exportbeschränkungen gegenüber den USA, wie sie China als Druckmittel bei den Seltenen Erden handhabt, hält das IW wenig. “Hier raten wir zur Vorsicht”, warnte Matthes. “Damit würde man im transatlantischen Verhältnis ein ganz neues Schlachtfeld eröffnen – und möglicherweise eine neue Eskalationsspirale in Gang setzen.” Die USA verfügten selbst über eigene Druckmittel – etwa im digitalen Bereich. “Wenn Microsoft seine Dienste hier abschalten würde, würden wir ganz schön alt aussehen”, sagte Matthes.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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