Insider: Institute sehen mageres Wirtschaftswachstum und Reformbedarf

– von Klaus Lauer und Holger Hansen

Berlin (Reuters) – Die führenden Forschungsinstitute sagen der deutschen Wirtschaft Insidern zufolge in diesem Jahr nur ein Mini-Wachstum voraus.

Das Bruttoinlandsprodukt werde voraussichtlich um 0,2 Prozent zulegen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag von mehreren mit der Sache vertrauten Personen erfuhr. Im nächsten Jahr sollte es dank mehr staatlicher Ausgaben aus dem Infrastrukturprogramm spürbar stärker bergauf gehen – mit einem BIP-Anstieg von 1,3 Prozent und 2027 mit plus 1,4 Prozent. Die Ökonominnen und Ökonomen plädieren für massive Strukturreformen der schwarz-roten Koalition, um die Wirtschaft auch langfristig fit für die Zukunft zu machen, wie es hieß. So müsse das Produktionspotenzial erhöht und der Standort Deutschland wettbewerbsfähiger sowie attraktiver gemacht werden.

Im April hatten die Regierungsberater für dieses Jahr 0,1 Prozent Wachstum vorausgesagt und plus 1,3 Prozent für 2026. Die Institute legen der Bundesregierung ihr Herbstgutachten am Donnerstag vor. Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose (GD) wird federführend erarbeitet vom Berliner DIW, Kieler IfW, Münchner Ifo sowie dem Essener RWI und dem IWH aus Halle.

IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller, dessen Institut an der GD beteiligt ist, äußerte sich skeptisch: “Wir haben keinen normalen Aufschwung vor uns. Wir krebsen uns von unten an ein immer schwächer werdendes Produktionspotenzial heran.” Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sei fast drei Prozent niedriger als 2019, sagte der Ökonom aus Halle bei einer von der OECD organisierten Diskussionsrunde. Holtemöller äußerte sich nicht konkret zur Prognose der Institute, kündigte aber an, dass man der Regierung einen Zwölf-Punkte-Plan zu Strukturreformen vorlegen werde.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft IW, Michael Hüther, sprach mit Blick auf die wirtschaftliche Verfassung von “einer Art ‘Germanosklerose’: Deutschland stecke in einer Wachstumskrise, die strukturelle Gründe habe. Das über Jahre erfolgreiche Geschäftsmodell stehe unter Druck: Der Export leide unter Deglobalisierungs- und Protektionismustendenzen. Die Investitionen kämen nicht in Gang und die Konsumenten hätten angesichts steigender Arbeitslosenzahlen Sorgen um ihre Job-Sicherheit. “Das alles ist ein Strukturthema und da wird uns auch ein kurzes Konjunkturfeuerwerk nicht helfen”, fügte er hinzu. Auch das von der OECD veranschlagte Wachstum von 1,1 Prozent für 2026 biete “keine Aufholqualität”.

Die Industriestaatenorganisation OECD prognostiziert, dass Deutschland nach zwei Rezessionsjahren in Folge 2025 nur mit einem leichten Wirtschaftswachstum rechnen könne. Die Konjunktur dürfte um 0,3 Prozent zulegen, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mitteilte. “In den europäischen Volkswirtschaften dürften die zunehmenden Handelskonflikte und die geopolitische Unsicherheit durch entspanntere Kreditbedingungen etwas ausgeglichen werden”, heißt es in dem Konjunkturausblick mit dem Titel: “In unsicheren Zeiten die richtige Balance finden”.

(Bericht von Klaus Lauer und Holger Hansen, Mitarbeit von Reinhard Becker; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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