Kanzler pocht auf “Unausweichlichkeit” von Reformen

Berlin (Reuters) -Bundeskanzler Friedrich Merz hat angesichts gravierender Probleme der deutschen Wirtschaft schnelle Reformen angekündigt. Unternehmen seien sehr besorgt um die Zukunftsaussichten und Arbeitsplätze, sagte der CDU-Vorsitzende am Mittwoch in der Generaldebatte im Bundestag. “Deshalb müssen wir handeln, wir müssen es schnell tun.” Ohne “echte” Reformen lasse sich der Sozialstaat nicht aufrechterhalten. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn sprach in der Debatte davon, dass “die Lage in der Industrie brutal ist”. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch forderte von Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), rasch für ein Beschleunigungsgesetz für Sanierungen im Verkehrsbereich zu sorgen. Zuvor war bekannt geworden, dass sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft überraschend eingetrübt hat. Der sogenannte Ifo-Geschäftsklimaindex sank im September auf 87,7 Zähler, nach 88,9 Punkten im August.

Die Debatte über den Haushalt 2026 fand nur eine Woche nach der über den Etat 2025 statt. Angesichts steigender Sozialausgaben und Haushaltsdefizite warb Kanzler Merz um ein neues Verständnis für die Notwendigkeit von Reformen: “Hier geht es nicht um Verteilung, sondern hier geht es um Erwirtschaftung eines höheren Bruttoinlandsproduktes für alle”, betonte er. Mit Blick auf die anstehenden Sozialreformen fügte Merz hinzu: “Wir brauchen … ein Verständnis im Land für die Unausweichlichkeit von Veränderungen.”

Auch SPD-Fraktionschef Miersch drängte auf Eile. “Wir stellen Milliarden für die Infrastruktur, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Verfügung. Aber mit einem Haushaltsbeschluss alleine kommt noch nichts bei den Menschen an und wir merken die Stimmung in diesem Land”, warnte er. “Die Leute wollen, dass sich was schnell verändert.” Er nannte vier Prioritäten: mehr Wohnungsbau, Bürokratieabbau, das Infrastruktur-Beschleunigungsgesetz und eine schnellere Digitalisierung.

REKORD-HAUSHALT NUR “VERSCHIEBEBAHNHOF”

Die Opposition warf der schwarz-roten Regierung vor, zwar Schulden in Rekordhöhe aufzunehmen, das Geld aber falsch einzusetzen. AfD-Co-Chefin Alice Weidel nannte Merz einen “Bankrotteur”, der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla sprach von einer “desaströsen Schuldenpolitik”. Die Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann und die Linke-Co-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek wiederum kritisierten, dass die Regierung Geld aus dem Sondervermögen falsch ausgebe. “Die Regierung saniert mit dem Sondervermögen nicht unser Land, sondern ihren Haushalt”, sagte Reichinnek. Sie sprach von einem “Verschiebebahnhof”, weil im Kernhaushalt bei Verkehrsinvestitionen teilweise genau um den Betrag gekürzt würden, der aus dem Sondervermögen zur Verfügung gestellt werde.

Der Kanzler ging auf den Streit in der Koalition über die Finanzierung im Verkehrsbereich nicht direkt ein. “Wir werden im Verlauf der Haushaltsberatungen… auch Wege eröffnen, wie wir im umfassenden Sinne auch den Neubau von Bahnstrecken und Autobahnen und Bundesfernstraßen ermöglichen können”, sagte er nur. “Es ist das gemeinsame Ziel von Union und SPD: Jedes baureife Projekt bei Schiene und bei Straße, das muss auch eine Finanzierung finden”, betonte dagegen Unions-Fraktionschef Spahn. Hintergrund ist, dass Verkehrsminister Schnieder gewarnt hatte, dass trotz des Sondervermögens von 500 Milliarden Euro etliche Projekte nicht finanziert werden könnten.

MAHNUNG FÜR KOMPROMISSFÄHIGKEIT

Auch angesichts der Unzufriedenheit in der eigenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion mahnte der Kanzler, dass Kompromisse in der Regierung nötig seien. “Solange wir das noch schaffen in diesem Land, aufeinander zuzugehen und gemeinsame Lösungen zu finden, so lange werden wir dieses Land in guter Balance halten”, sagte er. Hintergrund ist das Murren in der Union, dass er zu viele Kompromisse mit der SPD eingehe. Merz wies darauf hin, dass keine Partei eine absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl erhalten habe. Grünen-Co-Fraktionschefin Haßelmann warf dem CDU-Vorsitzenden jedoch vor, dass gerade er im Bundestagswahlkampf die Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben habe.

(Bericht von Andreas Rinke, Markus Wacket; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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