Berlin (Reuters) – Trotz des Widerstands in der SPD-Fraktion und von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält die Union an einem Losverfahren beim Wehrdienst fest.
“Ich sehe nicht so, dass das Losverfahren aus dem Rennen ist”, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), am Mittwoch in Berlin. Unions-Verteidigungsexperte Thomas Erndl (CSU) ergänzte: “Da schauen wir mal, das braucht vielleicht bei manchen etwas, bis die Vorteile verstanden werden.” Pistorius selbst zeigte sich weiter nicht überzeugt und sprach von einem “faulen Kompromiss”. Der Weg über ein Losverfahren, falls sich nicht genügend Rekruten fänden, koste zuviel Zeit. Zudem wäre der Verzicht auf die eine umfassende Musterung ein Fehler: “Es geht um die flächendeckende Musterung, die ich einfach brauche für die Einsatzfähigkeit und für die Fähigkeit, im Ernstfall einzuberufen.”
Fachpolitiker von Union und SPD hatten sich auf Änderungen am Gesetzentwurf verständigt und mit einem Losverfahren eine Art Pflichtelement in die Auswahl von Wehrdienstleistenden eingebaut. Wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, sollten fehlende Rekruten ausgelost und nur diese gemustert werden. Aus diesem Kreis sollten notfalls auch Rekruten verpflichtet werden Die SPD-Fraktion pocht jedoch auf weitgehende Freiwilligkeit beim geplanten neuen Wehrdienst. In der Fraktionssitzung am Dienstag stieß die Vereinbarung daher auf Ablehnung. Auch Pistorius sprach sich dagegen aus. Eine geplante gemeinsame Pressekonferenz mit der Union wurde kurzfristig abgesagt. Die Union warf Pistorius daraufhin vor, das Verfahren zu torpedieren.
Der Gesetzentwurf von Pistorius soll nun aber wie geplant am Donnerstag im Parlament erstmals beraten werden. Änderungen gelten angesichts der heftigen Debatten zwischen Union und SPD als sicher. Sein Entwurf stützt sich in erster Linie auf Freiwilligkeit. Alle jungen Männer eines Jahrgangs müssen einen Fragebogen ausfüllen. Zudem sollten auch alle auf Tauglichkeit gemustert werden. Man hofft so und mit einer deutlichen Verbesserung der Bezahlung und attraktiven Konditionen bereits die geplanten Freiwilligenzahlen zu erreichen. Wenn diese nicht erreicht werden, müssen für eine Pflicht-Einberufung zunächst Regierung und Bundestag einen Beschluss fassen.
KOALITION VERSUCHT WOGEN ZU GLÄTTEN
Nach dem Eklat am Dienstagabend versuchten die Koalitionspartner aber auch die Wogen zu glätten: “Ich finde das alles weit weniger dramatisch, als es gerade gemacht wird”, sagte Pistorius. Man habe durch die abgesagte Einigung lediglich eine Woche verloren. “Das Ziel bleibt, dass das Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt. Also von daher ist bislang jedenfalls überhaupt kein Schaden eingetreten.” Auch Röwekamp verteidigte die Debatte innerhalb der Koalition. “Wir reden nicht über Pillepalle, sondern über ein ganz wesentliches Gesetz.” Er gehe davon aus, dass man am Ende einen gemeinsamen Weg finden werde.
Der SPD-Verteidigungsexperte Falko Droßmann, der die gescheiterte Vereinbarung mit der Union mit vorbereitet hatte, sprach dennoch von einem richtigen Vorgehen: Man habe sich zusammengesetzt, um “neue Wege zu finden” und nicht unvorbereitet in das parlamentarische Verfahren zu gehen. Dass sich Fachpolitiker zusammensetzten, um eine öffentliche Debatte anzustoßen, sei keine Schwäche, sondern eine Stärke der Demokratie.
Hintergrund ist, dass die Bundeswehr angesichts der Bedrohung aus Russland eine Stärke von 460.000 Soldaten anstrebt. Dies sind fast 200.000 mehr als derzeit. 200.000 davon sollen Reservisten sein. Diese sollen vor allem über Wehrdienstleistende gewonnen werden.
(Bericht von Markus Wacket; redigiert von Kerstin Dörr Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)