Berlin (Reuters) – Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland befürwortet zwar den Sozialstaat, bewertet dessen Kosten aber als zu hoch.
Eine knappe Mehrheit meint zudem, dass Sozialleistungen faul machen. Diese Ansicht vertreten überdurchschnittlich viele Menschen mit geringem Einkommen, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht. Demnach sehen rund 70 Prozent den Nutzen der sozialen Sicherung. Gleichzeitig bewerten 64 Prozent die Kosten als eine zu hohe Belastung für Gesellschaft und Unternehmen.
“Gerade wer trotz Arbeit nur wenig verdient, erlebt das Spannungsfeld zwischen Arbeit und Absicherung besonders deutlich”, erklärte IAB-Forscher Jens Stegmaier. In dieser Gruppe sei das Bedürfnis nach Leistungsgerechtigkeit besonders hoch. Die Haltung zur These, dass Sozialleistungen “faul machen”, unterscheidet sich in der Umfrage je nach Einkommen deutlich. Während im Durchschnitt gut jeder zweite Befragte dieser Aussage zustimmt, ist der Anteil unter Geringverdienern mit fast zwei Dritteln (64 Prozent) am höchsten. Auch bei Aufstockern, die trotz Arbeit Sozialleistungen beziehen, stimmt noch jeder Zweite zu. Am geringsten ist die Zustimmung bei reinen Leistungsbeziehern und bei Besserverdienenden.
Breite Zustimmung findet das Leistungsprinzip. Rund drei von vier Erwerbstätigen sind der Meinung, wer mehr leiste, solle auch mehr bekommen. Dieses Prinzip der Leistungsgerechtigkeit findet auch bei Beziehern von Bürgergeld mehrheitlich Zuspruch. Deutlich weniger Unterstützung erhält der Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit, wonach sich Zuwendungen am individuellen Bedarf orientieren sollten. Reformen fänden laut den Autoren der Studie demnach Akzeptanz, wenn sie den Sozialstaat sicherten und gleichzeitig Leistung belohnt werde. Für die Analyse wurden im April und Mai dieses Jahres laut IAB die Antworten von mehr als 5000 Erwerbstätigen und Leistungsbeziehern ausgewertet.
Die Bundesregierung bereitet derzeit Reformen der sozialen Sicherung vor. Das Bürgergeld soll mit einer Verstärkung der Arbeitsanreize und des Drucks durch Leistungsskürzungen in eine Grundsicherung umgestaltet werden. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte vorige Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Regierung derzeit abgestimmt wird.
(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Elke Ahlswede. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)