– von Kate Abnett und Holger Hansen
Brüssel/Berlin (Reuters) – Die Europäische Union hat sich kurz vor dem Weltklimagipfel auf ein verbindliches, aber abgeschwächtes Klimaziel für 2040 geeinigt.
Nach einem 18-stündigen Verhandlungsmarathon beschlossen die EU-Umweltminister am Mittwoch in Brüssel, den Treibhausgas-Ausstoß um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Sie erlaubten aber eine Aufweichung durch den Zukauf ausländischer CO2-Zertifikate. Der Emissionshandel für Gebäude und Verkehr wird zudem auf 2028 verschoben. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) will daher die nationale CO2-Bepreisung um ein Jahr verlängern. Die Grünen warfen der Bundesregierung einen klimapolitischen Rückschritt vor. Wirtschaftsverbände begrüßten die Entscheidung als Schritt zu mehr Balance.
Der in Brüssel erzielte Kompromiss sieht vor, dass ab dem Jahr 2036 bis zu fünf Prozentpunkte des 90-Prozent-Ziels durch Klimaschutzprojekte in Drittstaaten erbracht werden können. Damit müssen die Emissionen innerhalb der EU faktisch nur um 85 Prozent sinken. Der Start des neuen Emissionshandels für Verkehr und Gebäude (ETS2) wurde auf Wunsch von Ländern wie Polen und Rumänien um ein Jahr auf 2028 verschoben. Sie hatten Bedenken geltend gemacht wegen möglicherweise steigender Spritpreise. Das neue Klimaziel muss noch im europäischen Klimaschutzgesetz verankert und auch vom Europaparlament beschlossen werden.
Zudem legte die EU ihren Klimaschutzbeitrag (NDC) fest, den sie schon längst an die Weltklimakonferenz hätte melden müssen. Dieser sieht bis 2035 eine Emissionsminderung in einer Spanne von 66,25 bis 72,5 Prozent vor. Der obere Wert liegt laut Bundesregierung auf einer geraden Linie zwischen dem bestehenden EU-Klimaziel von 55 Prozent bis 2030 und dem Ziel für 2040.
SCHNEIDER SCHLIESST “PREISSPRÜNGE” BEIM CO2 AUS
Schneider bezeichnete die Einigung als “wichtigen Fortschritt” und Zeichen der Handlungsfähigkeit Europas. Die Verlängerung des deutschen Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) bis Ende 2027 sei nötig, um eine Preislücke zu vermeiden. Wie das System in dem zusätzlichen Jahr ausgestaltet wird, sei aber noch offen, sagte Schneider. Er werde darauf achten, “dass wir dort nicht zu Preissprüngen kommen, sondern dass wir die Kontinuität aus dem Jahre 26 dann auch fortführen”.
Der EU-Kompromiss wurde unter hohem Zeitdruck erzielt, um die EU vor dem Klimagipfel in Brasilien als handlungsfähig zu präsentieren. “Die Festlegung eines Klimaziels ist nicht nur die Wahl einer Zahl, sondern eine politische Entscheidung mit weitreichenden Folgen”, sagte der dänische Klimaminister und Ratsvorsitzende Lars Aagaard. Man habe auf die Wahrung von Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Gleichgewicht hingearbeitet. Länder wie Frankreich und Portugal hatten die Aufweichung durch Zertifikate gefordert, während Polen und Ungarn gegen den Kompromiss stimmten, ihn aber nicht blockieren konnten.
DRÖGE: “MERZ BEIM KLIMASCHUTZ IM RÜCKWÄRTSGANG”
Die Grünen warfen Bundeskanzler Friedrich Merz vor, beim Klimaschutz “voll im Rückwärtsgang” zu sein. Co-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach von einem “verheerenden Signal” an die Weltklimakonferenz. “Wenn Europa beim Klimaschutz bremst, bremst die Welt mit”, sagte Dröge der Nachrichtenagentur Reuters.
Zuspruch für die Abschwächung der Klimaziele kam aus der deutschen Wirtschaft. Der Industrieverband BDI sprach von einem “ersten Schritt zu besserer Balance von Ökonomie und Ökologie”. Die DIHK erklärte, ein striktes 90-Prozent-Ziel hätte die deutsche Wirtschaft überfordert. Der Automobilverband VDA kritisierte hingegen, die Verschiebung des ETS2 schwäche ein zentrales marktwirtschaftliches Instrument.
Die EU stand unter Zeitdruck, um nicht mit leeren Händen zum Weltklimagipfel COP30 in Brasilien zu reisen. Dort wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag mit anderen Staats- und Regierungschefs zusammentreffen. Später wird dort auch Bundeskanzler Merz erwartet. Der Gipfel vor der Weltklimakonferenz in Belem gilt auch als Test für die Entschlossenheit der großen Volkswirtschaften, den Kampf gegen den Klimawandel angesichts des Widerstands von US-Präsident Donald Trump fortzusetzen.
Klimawissenschaftler und die Vereinten Nationen (UN) sehen Handlungsbedarf. Laut einer Studie des UN-Umweltprogramms UNEP wird die Welt das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ohnehin verfehlen. Die Schwelle werde bereits im nächsten Jahrzehnt zumindest vorübergehend gerissen. Bereits dieses Überschreiten dürfte laut Wissenschaftlern zu stärkeren Hitzewellen, Dürren und Waldbränden führen.
(Bericht von Kate Abnett, Inti Landauro, Benoit Van Overstraeten in Brüssel und Holger Hansen in Berlin, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)











