– von Alexander Hübner
München (Reuters) – Siemens zieht sich in den nächsten Jahren nach und nach aus der Medizintechnik zurück.
Seine Beteiligung an der börsennotierten Tochter Siemens Healthineers will der Münchener Technologiekonzern zunächst von 67 auf maximal 37 Prozent abschmelzen, mittelfristig sollen es weniger als 20 Prozent werden, wie Siemens am Mittwochabend mitteilte. “Beide Unternehmen haben sich weiterentwickelt”, sagte Vorstandschef Roland Busch vor Journalisten. Die Medizintechnik habe wenig Überschneidungen mit dem Siemens-Kerngeschäft. “Mit der Abgabe der Kontrollmehrheit fokussieren wir uns auf ein hochgradig synergetisches Siemens-Portfolio”, sagte Busch. Healthineers-Vorstandschef Bernd Montag begrüßte den angekündigten Schritt: “Wir schätzen die Klarheit.”
Das Kerngeschäft von Siemens besteht aus der Industrieautomatisierung (Digital Industries), der Gebäude- und Infrastrukturtechnik (Smart Infrastructure) und der Zug-Sparte Mobility. Siemens Healthineers war 2018 an die Börse gebracht worden, um Zukäufe auch eigenständig finanzieren zu können. Mit der 16 Milliarden Dollar schweren Übernahme des kalifornischen Krebstherapie-Spezialisten Varian hatte Healthineers die Chance genutzt, steht aber beim Mutterkonzern mit 10,8 Milliarden Euro in der Kreide. Die Kredite müssten nach der Trennung abgelöst werden. Siemens wiederum verliert damit etwa 30 Prozent seines Umsatzes. Eine von Analysten geforderte Abspaltung von Siemens Mobility schloss Busch erneut aus: “Das passt genial”, sagte er. “Die führen die Champions League an, weil sie bei Siemens sind.”
Mit dem Abschmelzen des Siemens-Anteils verdoppelt sich der Streubesitz von Healthineers beinahe; entsprechend wächst das Gewicht der Aktie im Leitindex Dax. Einige Großanleger hatten ein Investment gescheut, weil sie fürchten mussten, ihre Aktien bei einem Ausstieg nicht mehr loszuwerden. Busch sagte, man habe auch einen Rückkauf von Healthineers geprüft. “Die Synergien, die wir dafür bräuchten, reichen aber nicht aus.” Die Abgabe der Mehrheit “erweitert für Siemens Spielräume, erhöht die Transparenz, reduziert Komplexität für den Kapitalmarkt und vereinfacht Governance-Strukturen”, fasste Finanzvorstand Ralf Thomas die Vorzüge der Trennung zusammen. Er gibt im Laufe des nächsten Jahres seinen Posten ab, bleibt aber Aufsichtsratschef von Siemens Healthineers.
BIS ZUM AUSSTIEG DAUERT ES NOCH
Der Rückzug hatte sich abgezeichnet, er wird sich aber noch etwas hinziehen. 30 Prozent der Healthineers-Anteile sollen den Siemens-Aktionären in die Depots gebucht werden. Rechtlich und steuerlich betritt Siemens mit dieser “direkten Abspaltung” von Aktien eines börsennotierten Unternehmens Neuland, sie ist günstiger als die Ausschüttung als Sachdividende. Die Zustimmung der Finanzämter stehe noch aus, räumte Busch ein. “Das klappt”, zeigte er sich aber zuversichtlich. Bis zum Frühjahr 2026 soll klar sein, wann und wie die Abspaltung umgesetzt wird. Dann müssten noch die Hauptversammlungen beider Unternehmen zustimmen, voraussichtlich Anfang 2027.
Womöglich werde Siemens noch vorher weitere Healthineers-Aktien auf den Markt werfen, um Geld für die Übernahmen der US-Softwarefirmen Altair und Dotmatics in die Kasse zu bekommen. Der Aufsichtsrat habe dafür grünes Licht gegeben, sagte der Vorstandschef. Mittelfristig werde Siemens Healthineers nur eine Finanzbeteiligung sein. Die nach der Abspaltung verbleibenden Aktien stünden zur Finanzierung weiterer Zukäufe zur Verfügung – in Software, aber auch in Hardware. “Aber wir machen keinen Blödsinn”, beschwichtigte Busch. Das Healthineers-Aktienpaket von Siemens ist mehr als 33 Milliarden Euro wert.
Fondsmanagerin Maria Mihaylova von Union Investment begrüßte den angekündigten Schritt. “Durch die Entkonsolidierung kann Siemens sich stärker auf seine industriellen Kerngeschäfte Digital Industries und Smart Infrastructure konzentrieren.” Busch will am Donnerstag seine Pläne für die nächsten Jahre vorstellen, in denen er die Kernsparten enger verzahnen will, etwa in der Entwicklung und im Vertrieb.
Die Arbeitnehmervertreter im Siemens-Aufsichtsrat stellten sich hinter die Entscheidung, auch wenn sie nicht leicht falle. Buschs Argumente, dass Healthineers nur eingeschränkt in die “One-Tech”-Strategie passe, seien plausibel. Diese biete “aus heutiger Sicht langfristig die besten Aussichten für Siemens”, sagte Aufsichtsrat Jürgen Kerner, der 2. Vorsitzende der IG Metall. Für die Arbeitnehmer sei wichtig, dass nicht nur die Aktionäre von der Abspaltung profitierten, sondern Siemens mit dem Erlös durch weitere Zukäufe im Kerngeschäft gestärkt werde. Man habe Zusagen vom Vorstand erhalten, wie einen Erhalt der Tarifbindung auch bei Siemens Healthineers.
Healthineers-Betriebsratschefin Dorothea Simon, die bisher in beiden Aufsichtsräten sitzt, bedauerte die Trennung: “Wir als unmittelbar Betroffene würden es lieber sehen, dass die Siemens AG Mehrheitsaktionär bleibt.” Doch das sei nicht realistisch.
(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)











