Trotz russischer Lieferungen – Bund verschärft Gas-Sparplan

– von Markus Wacket und Sabine Wollrab und Nina Chestney

Berlin/Frankfurt/London (Reuters) – Die Bundesregierung will Deutschland trotz der Wiederaufnahme russischer Gas-Lieferungen mit einem Spar- und Speicher-Programm für den nächsten Winter rüsten.

“Der Gasverbrauch muss weiter runter, die Speicher müssen voll werden. Daran sollten wir mit vereinten Kräften arbeiten”, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag. “Wir brauchen einen langen Atem.” Zwar hatte Russland zuvor nach einem zehntägigen Lieferstopp wegen der Wartung an der Leitung Nord Stream 1 die Lieferungen wieder gestartet. Allerdings nur auf dem stark reduzierten Niveau von etwa 40 Prozent der Kapazität, das auch bereits vor der Wartung galt. “Die 40 Prozent können uns nicht in Sicherheit wiegen”, sagte Habeck. Russlands Präsident Wladimir Putin wolle Preise treiben und die Gesellschaft spalten. “Deswegen ist es wichtig, immer wieder die politischen Instrumente nachzuschärfen.”

Eines davon sind die Vorgaben für Mindest-Füllstände der Speicher: Danach müssen diese zum 1. November zu 95 Prozent und zum 1. Oktober zu 85 Prozent gefüllt sein, wie es im Entwurf der Verordnung heißt, die Reuters vorliegt. Bisher waren 90 beziehungsweise 80 Prozent verankert. Nur so könne angesichts der schwankenden russischen Lieferungen sichergestellt werden, dass für den Winter ausreichend Brennstoff zur Verfügung stehe. Trotz Pipeline-Gas-Lieferungen aus anderen Ländern wie Norwegen und den Niederlanden, Flüssiggas-Importen sowie Spar-Kampagnen ist Deutschland und seine Industrie nach wie vor von russischen Lieferungen abhängig.

Habeck kündigte zudem an, dass nach Steinkohle-Kraftwerken im Oktober auch Braunkohle-Meiler aus der Reserve geholt würden. Sie sollen Gas-Anlagen ersetzen, die Strom erzeugen. Aber auch Unternehmen und Privat-Haushalte sollen Gas einsparen: In Abstimmung mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern wolle man die Arbeit von Zuhause ausweiten. Vorgaben für Mindesttemperaturen in manchen Gebäuden sollten für zwei Winter ausgesetzt sowie Hallen, Flure und Foyers möglichst gar nicht mehr geheizt werden. Schließlich werde es untersagt, dass Hausbesitzer private Pools mit Gas beheizten, sagte Habeck.

Er unterstütze zudem den Gas-Sparplan der EU-Kommission, der eine Kappung von 15 Prozent des Verbrauchs vorsehe. Nach jetzigem Stand werde Deutschland weniger als die Hälfte erreichen. Mit dem Spar-Paket wolle man die Vorgabe erreichen.

VERBAND: LIEFERUNGEN KÖNNTEN FÜR SPEICHER-FÜLLUNG REICHEN

Nach Einschätzung des Verbandes “Zukunft Gas” könnte mit einer dauerhaften Lieferung auf dem aktuellen Niveau der kommende Winter gemeistert werden. “Damit wir den Winter unter den aktuellen Annahmen gut überstehen, müssen die Verbräuche weiter auf niedrigem Niveau bleiben und die Flüssiggas-Importkapazitäten in Westeuropa voll ausgelastet werden”, sagte Verbandschef Timm Kehler. Jetzt sei viel Solidarität gefragt zwischen Bürgern, Wirtschaft und innerhalb der Europäischen Union. Der Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW) erklärte, auf eine dauerhafte und verlässliche Belieferung aus Russland könne nicht mehr gesetzt werden. “Auch in den kommenden Wochen und Monaten ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass vermeintliche technische ‘Gründe’ angeführt werden, die die Gaslieferungen aus Russland angeblich erschweren”, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae.

Der staatliche russische Gas-Versorger Gazprom hatte schon vor der Wartung argumentiert, dass eine Turbine von Siemens Energy für eine Verdichterstation gewartet und von Kanada wegen der Sanktionen nicht zurückgeliefert werde, könne man nicht die vereinbarten Mengen liefern und die Leitung zu 100 Prozent auslasten. Die Bundesregierung nennt das Argument vorgeschoben, sie hat zudem bei Kanada eine Rückgabe der Turbine erreicht. Zuletzt war Gas aus Russland für Deutschland praktisch nur über Nord Stream gekommen.

Die gekürzten Gasliefermengen haben vor allem den größten deutschen Gasimporteur Uniper in Bedrängnis gebracht. Er muss die Mengen teuer kurzfristig am Markt nachkaufen, ist aber an bestehende Verträge mit seinen Kunden gebunden. Mit der Bundesregierung und seinem finnischen Großaktionär Fortum verhandelt der Konzern gerade über ein Rettungspaket.

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