Ampel ringt sich zu Reformpaket bei Klima und Verkehr durch

Berlin (Reuters) – Nach dreitägigen Beratungen hat die Ampel-Koalition am Dienstagabend ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Durchsetzung der Klimaschutzziele und zur Planungsbeschleunigung in Deutschland vorgelegt.

Damit soll zum einen die Planung sowohl des Straßen- und Schienennetzes massiv beschleunigt werden, sagten die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP am Abend überstimmend. Zum anderen wollen die drei Parteien mit einem mühsam ausgehandelten 16-seitigen Kompromisspapier aber auch die seit Wochen schwelenden Auseinandersetzung in der Ampel beilegen. Kanzler Olaf Scholz sprach von einem “großen Werkstück”.

SPD, Grüne und FDP einigten sich nach Angaben von SPD-Chef Lars Klingbeil etwa auf einen sozialen Ausgleich beim Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf klimafreundlichere Heizungen. Allerdings ist in dem Papier nicht festgeschrieben, ob der Startschuss bereits am 1. Januar 2024 oder erst später fallen soll. Auch das umstrittene Zuschuss-Volumen bleibt offen. Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte, dass die Ampel-Beschlüsse keine größeren Auswirkungen auf den Haushalt haben würden. Die Kosten für den Umbau der Heizungen würden aus dem Klima- und Transformationsfonds genommen, sagte er. Grünen-Chefin Ricarda Lang sprach von einem massiven Ausbau der Schiene und einem begleitenden Solarprogramm für Autobahnen. Die Lkw-Maut werde ab 2024 erhöht, und 80 Prozent davon würden in den Ausbau der Schiene fließen.

Ein wichtiges Element der Einigung ist die Veränderung des Klimaschutzgesetzes. “Die reine Sektor-Orientierung überwinden wir”, sagte FDP-Chef Lindner vor allem mit Blick auf die stockende Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor. “Wir sorgen dafür, dass sich die Sektoren gegenseitig helfen können.” Man schaue nicht mehr jährlich auf die Ziele und blicke nicht mehr zurück, sondern nach vorne bis etwa zum Jahr 2030. Grünen-Chefin Lang betonte aber, dass die Sektorziele als Prinzip des Gesetzes erhalten blieben. Künftig soll es auch möglich sein, dass bei Baumaßnahmen statt der Bereitstellung von Ersatzflächen Geldzahlungen geleistet würden, sagte Lindner.

Die Ampel-Koalition will zudem bei der Einrichtung von E-Ladestationen mehr Tempo machen. Betreiber von Tankstellen sollen gesetzlich verpflichtet werden, “binnen fünf Jahren mindestens einen Schnellladepunkt pro Tankstelle zu errichten”, heißt es im Papier des Koalitionsausschusses. Für die Betreiber kleiner Tankstellen werde es aber eine Sonderregelung geben.

AMPEL RÄUMT DIFFERENZEN EIN – UND AUS

Lang und Klingbeil räumten erhebliche Differenzen in der Ampel-Koalition in den vergangenen Wochen ein. Die drei Parteien seien so unterschiedlich, dass man letztlich für die gesamte Gesellschaft Kompromisse ausgehandelt habe, sagte die Grünen-Chefin. Das brauche Zeit. Sie kritisierte wie Klingbeil den ruppigen Umgangston durch alle drei Parteien. “Ich hatte nie Bedenken, was die Vertrauenswürdigkeit der Partner anbelangt”, sagte Lindner wiederum zum Abschluss der gemeinsamen Pressekonferenz. “Man schweigt sich auseinander und man diskutiert sich zusammen”, sagte er.

Ein Teil der Differenzen ging auf den Streit zurück, ob die Planungsbeschleunigung nur für die Schiene oder auch für Straßenprojekte gelten sollte. Lindner sprach von 144 Autobahn-Projekten, für die es nun ebenfalls eine Planungsbeschleunigung geben solle. Lang verwies auf die nötige Kombination mit Solar-Anlagen entlang der Autobahn. “Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen”, heißt es in dem Papier.

INDUSTRIE LOBT – UMWELTVERBAND KRITISIERT

Die Beschlüsse stießen am Abend auf ein unterschiedliches Echo: Die Bauindustrie begrüßte den Beschluss. “Die Straße und auch die Autobahn werden die Verkehrsträger Nummer 1 in Deutschland bleiben”, sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Denn die von der EU geforderte Verdopplung der Gütertransporte auf der Schiene reduziere das Aufkommen im Bereich der Straße lediglich um etwa zehn Prozent. Dagegen sprach die Deutsche Umwelthilfe von einem verheerenden Beschluss. “Wir fordern die Abgeordneten des Bundestages auf, das zu verhindern und die geplante Verschlechterung des schon wenig ambitionierten Gesetzes aus der Merkel-Ära rundweg abzulehnen”, sagte Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer. “Die Parlamentarier der Union sind nun gefragt, das Merkelsche Klimaschutzgesetz wenigstens zu retten, wenn schon nicht zu verschärfen.” Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, kritisierte, dass sich die Ampel nicht auf die Finanzierung der Kindergrundsicherung geeinigt habe.

CDU-Fraktionsvize Jens Spahn kritisierte, dass die 16 Seiten “wenig Konkretes, mehrere Prüfvorbehalte, teils Widersprüchliches und viel Geschwurbel” enthielten. “Kleines Karo statt Zeitenwende, schrieb er auf Twitter. “Diese Regierung ist stehend k.o.”

Zuvor hatte bereits Kanzler Scholz von “sehr, sehr, sehr guten Ergebnissen” berichtet. “Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass wir ein großes Werkstück zustande bringen”, hatte der SPD-Politiker gesagt. Es sei nun wichtig, dass man als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt alles richtig mache. Es gehe um eine Tempo-Beschleunigung der Entscheidungen. “Deshalb ist die Mühe sinnvoll. Es wird sich gelohnt haben”, betonte er.

(Bericht von Andreas Rinke, Holger Hansen, Alexander Ratz, Christian Krämer und Markus Wacket; redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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