Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Ergebnisse des Marathon-Koalitionsausschusses gelobt, dessen ungeachtet aber weitere Reformen angemahnt.
“Es gibt einen großen Reformstau in Deutschland”, sagte der Kanzler am Mittwoch in einer Befragung des Bundestags. Die Ampel-Beschlüsse etwa zur Planungsbeschleunigung hob der SPD-Politiker aber hervor. Nun werde ermöglicht, dass Infrastrukturprojekte und Anlagen der Erneuerbaren Energien rasch gebaut werden könnten, sagte Scholz. “Insofern geht es schneller voran.”
Beim Thema “Reformstau” nannte der Kanzler etwa die geplante Kindergrundsicherung. Hier wollten SPD, Grüne und FDP eine gemeinsame Reform. Im jüngsten Beschluss zum Koalitionsausschuss vom Dienstagabend findet sich dazu aber keine Einigung. Auch Fragen der Finanzierung wurden nicht geklärt. Konkret kündigte Scholz an, im April werde die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Förderung des Heizungsumbaus in Wohnungen vorlegen. Dabei werde es verschiedene Wege geben, klimaneutral heizen zu können, etwa auch mit einer Gasheizung, wenn diese später mit Wasserstoff betrieben werden könne. “Kein Bürger wird alleingelassen”, sagte der SPD-Politiker zu der in der Ampel angedachten Förderung beim Umbau.
Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten nach dreitägigen Beratungen am Dienstagabend ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Durchsetzung der Klimaschutzziele und zur Planungsbeschleunigung vorgelegt. Damit sollen zum einen Straßen und Schienen rasch erneuert oder erweitert werden. Zum anderen wollen die drei Parteien mit einem mühsam ausgehandelten 16-seitigen Kompromisspapier aber auch die seit Wochen schwelenden Auseinandersetzung in der Ampel beilegen. Scholz sprach von einem “großen Werkstück”.
“MODERNISIERUNGSPOLITIK DER MITTE”
Die zuletzt bei Landtagswahlen verlustreiche FDP sieht sich als ein Gewinner bei den Beschlüssen. “Den Freien Demokraten ist es gelungen, eine Modernisierungspolitik der Mitte und des Ausgleichs zu erreichen”, hieß es in einem internen Papier. So setzte die FDP unter anderem durch, dass auch Autobahnen unter die Planungsbeschleunigung fallen, was die Grünen lange Zeit vehement abgelehnt hatten. Laut FDP wurden bundesweit 144 Autobahnabschnitte identifiziert, die modernisiert oder erweitert werden sollen. Die meisten davon finden sich demnach in Nordrhein-Westfalen, in Ostdeutschland ist kein Autobahnabschnitt gelistet.
Die Grünen betonten, mit den Beschlüssen seien zwar “wesentliche Blockaden der letzten Monate gelöst”. In einem internen Papier hieß es aber auch: “Zur Ehrlichkeit gehört zugleich: Es bleibt eine Menge zu tun – insbesondere beim Klimaschutz im Verkehr. Hier ist die Lücke weiter sehr groß.” Der Grünen-Europapolitiker Rasmus Andresen kritisierte im Bundestag: “Nachdem unsere Koalitionspartner das Ansehen der Bundesrepublik in der EU (in der E-Fuels-Debatte) beschädigt haben, habe ich nach diesem Koalitionsausschuss kein Vertrauen mehr in den Bundeskanzler.” Scholz sei “vom Klimakanzler zum Klimablockierer geworden”.
Auch für Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang reichen die verabredeten Maßnahmen in Sachen Klimaschutz nicht aus. “Vor allem beim Verkehr bleibt eine große Lücke, wenn es um die Reduktion von CO2 geht”, sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Scholz selbst stärkte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Rücken: “Er ist genau richtig unterwegs.” Die Ampel-Koalition werde für die Schiene in den nächsten Jahren zusätzlich rund 45 Milliarden Euro mobilisieren. Das Kernnetz müsse dringend modernisiert werden, betonte der Kanzler. Um dies zu finanzieren, soll den Beschlüssen zufolge die Lkw-Maut auf Autobahnen erhöht werden.
“NICHT MAL EIN WÜMMSCHEN”
Die Opposition kritisierte die Beschlüsse: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte Sendern RTL/ntv: “Das ist kein Wumms, das ist schon gar kein Doppel-Wumms. Das ist, glaube ich, nicht mal ein Wümmschen.” SPD, Grüne und FDP hätten sich offensichtlich auf kleine gemeinsame Nenner verständigt. Dabei seien die Grünen die Verlierer.
Lob kam dagegen aus der Wirtschaft: Die deutschen Maschinenbauer erklärten: “Die Ampel-Koalition will auf den beiden Feldern Infrastruktur und Klimaschutz nun das versprochene ‘Deutschland-Tempo’ aufnehmen, und das ist auch dringend nötig.” VDMA-Präsident Karl Haeusgen sagte, im weltweiten Standortwettbewerb könne sich Deutschland weder in der Digitalisierung noch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder im Groß- und Schwerlasttransport die viel zu langen Genehmigungs- und Ausbauzeiten noch leisten.
(Bericht von Andreas Rinke, Christian Krämer, Holger Hansen, Marksu Wacket und Alexander Ratz; Redigiert von Hans Busemann; Vom Reuters-Büro Berlin. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)