EU-Asyl-Reform entzweit die Grünen – Lob von FDP

– von Alexander Ratz

Berlin (Reuters) – Der Asyl-Kompromiss der EU-Staaten ist in den Reihen der Ampel-Koalition auf ein sehr geteiltes Echo gestoßen.

Vor allem in Teilen der Grünen machte sich am Freitag in Berlin Unmut breit. Die Co-Vorsitzende Ricarda Lang sagte sogar, die Bundesregierung hätte der Vorlage nicht zustimmen dürfen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bemühte sich in einem Brief an die Grünen-Bundestagsfraktion, die Wogen zu glätten. Lob für den Beschluss kam aus dem FDP-geführten Justizministerium. Innenministerin Nancy Faeser von der SPD verteidigte ihr Vorgehen.

Die Innenministerinnen und Innenminister der 27 EU-Staaten hatten sich am Donnerstagabend in Luxemburg nach jahrelangem Streit mehrheitlich auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asyl-Systems (GEAS) geeinigt. Im Kern sieht der Beschluss sogenannte Grenzverfahren für Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl direkt nach ihrer Ankunft in der EU vor. Die Bundesregierung wollte durchsetzen, dass Familien mit minderjährigen Kindern generell von diesen Verfahren ausgeschlossen und einem regulären Asylverfahren unterzogen werden. Faeser konnte sich damit aber nicht durchsetzen. In dem Beschluss müssen nun lediglich unbegleitete Minderjährige nicht in ein Grenzverfahren gehen.

Faeser sagte der “Rheinischen Post”, die Bundesregierung werde nun versuchen, bei den noch anstehenden Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament die Ausnahme von Familien mit Kindern von den Grenzverfahren durchzusetzen. “Wir haben unsere Position für einen bestmöglichen Schutz der Kinder sehr deutlich gemacht und werden weiter dafür kämpfen”, sagte Faeser und betonte zugleich: “Wir haben den Rechtspopulisten in Europa deutlich die Grenzen aufgezeigt. Das Asylrecht bleibt unangetastet.” Bei Menschen, die vor Folter, Krieg und Terror geflohen seien, würden Grenzverfahren ohnehin nicht angewendet.

“SEHR SCHMERZHAFT” – “SEHR PROBLEMATISCH”

Grünen-Co-Chefin Lang erklärte dagegen, der Beschluss werde “dem Leid an den Außengrenzen nicht gerecht und schafft nicht wirklich Ordnung”. Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen räumte ein, der Kompromiss sei “sehr schmerzhaft”. Es sei zwar gut, dass die EU in dieser Frage zusammengefunden habe, ließ Habeck über den Twitter-Kanal des von ihm geführten Bundeswirtschaftsministeriums verlauten. “Ich habe aber hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen.” Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nannte den Beschluss mit Blick auf den Umgang mit Kindern “sehr problematisch”.

Langs Partner an der Grünen-Spitze, Omid Nouripour, begrüßte die Einigung dagegen. In der Gesamtschau komme er “zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen”. Außenministerin Baerbock hatte die Einigung bereits am Donnerstagabend positiv bewertet. In ihrem Schreiben an die Grünen-Fraktion betonte sie am Freitag, die Entscheidung sei ihr “auch persönlich sehr schwer gefallen”. Sie halte die Reform dennoch für richtig. “Für viele Geflüchtete wird sich der Status Quo verbessern, auch wenn nicht alle Anliegen, für die wir uns starkgemacht hatten, in der Einigung abgebildet sind.”

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lobte den Beschluss: “Der gefundene Kompromiss ist ein wichtiger Durchbruch”, sagte Buschmann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). “Seit vielen Jahre ist offenkundig, dass das bisherige Asylsystem in Europa es nicht schafft, die Findigen von den wirklich Schutzbedürftigen zu unterscheiden, und die Lasten zwischen den EU-Staaten völlig ungleich verteilt sind.” Nun sei endlich ein “Wendepunkt” erreicht worden.

AUFNAHMEQUOTE FÜR DEUTSCHLAND BEI 21,56 PROZENT

Ein zweiter Kernpunkt der Reform ist eine gerechte Verteilung der anerkannten Asylsuchenden auf die EU-Staaten. Dies soll nach einem Schlüssel erfolgen, gemessen an Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft eines Landes. Für Deutschland heißt das nach Angaben des Bundesinnenministeriums eine Quote von 21,56 Prozent. Länder, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, müssen eine Kompensationszahlung an Aufnahmeländer leisten. Dafür wurde eine Summe von 22.000 Euro pro Flüchtling festgesetzt. Polen und Ungarn hatten am Donnerstagabend als einzige EU-Staaten gegen die Vorlage gestimmt. Malta, die Slowakei und Bulgarien enthielten sich.

In Deutschland registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den ersten fünf Monaten des Jahres 135.961 Asylanträge. Das entspricht einer Zunahme von 76,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien und Afghanistan. Sie werden sich nach der neuen Regelung nicht einem Grenzverfahren stellen müssen.

(Mitarbeit: Holger Hansen; redigiert von Sabine Ehrhardt; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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