– von Dmitry Antonov und Pavel Polityuk
Moskau/Kiew (Reuters) – In der Ost-Ukraine haben sich pro-russische Rebellen und das ukrainische Militär gegenseitig Angriffe vorgeworfen.
Ein ranghoher ukrainischer Regierungsvertreter sagte am Donnerstag, die jüngsten Beschüsse aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten im Osten passten nicht zu den üblichen Verletzungen der Waffenruhe. Es sehe vielmehr nach einer “Provokation” aus. Russland hat auf seinem Gebiet in der Nähe der Grenze zur Ukraine über 100.000 Soldaten zusammengezogen, bekräftigte aber, der Teilabzug nach Ende von Manövern habe bereits begonnen. Die USA, die EU und die Bundesregierung erklärten dagegen, sie sähen dafür keine Anzeichen. Vielmehr dauere der Truppenaufmarsch an, obwohl Russland das Gegenteil behaupte, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Im Osten der Ukraine berichtete das ukrainische Militär, aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten sei bei Luhansk auf eine Ortschaft geschossen worden. Dabei seien ein Kindergarten und eine Schule getroffen worden, Schüler hätten in den Keller fliehen müssen. Die Armee dementierte zugleich einen Beschuss von Stellungen der Separatisten. Obwohl man mit Artillerie beschossen worden sei, sei das Feuer nicht erwidert worden, sagte ein Sprecher der Regierungstruppen zu Reuters.
Die von Russland unterstützten Rebellen warfen ukrainischen Truppen dagegen vor, ihr Territorium angegriffen zu haben. Die Streitkräfte hätten bei vier Attacken in den vergangenen 24 Stunden Mörser, Granatwerfer und ein Maschinengewehr eingesetzt, erklärten Vertreter der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk. Ein Reuters-Fotograf in der Region Luhansk berichtete, es seien Artillerieschüsse aus der Richtung der Kontaktlinie zu hören. OSZE-Beobachter berichteten nach Angaben aus diplomatischen Kreisen von Artillerie-Beschuss in der Ost-Ukraine.
Es war zunächst nicht möglich, unabhängig zu klären, ob es sich um eine Eskalation handelt oder um Verstöße gegen Waffenstillstandsvereinbarungen, wie sie in dem seit mehr als sieben Jahren andauernden Konflikt immer wieder auftreten. Westliche Regierung verdächtigen die russische Regierung, einen Vorfall in den Rebellengebieten als Vorwand für einen Angriff nehmen zu wollen. Russland wirft der Regierung in Kiew vor, eine Eskalation nutzen zu wollen, um Territorium zurückzuerobern.
RUSSLAND ZEIGT SICH BESORGT ÜBER LAGE IN OST-UKRAINE
Das russische Präsidialamt äußerte sich besorgt über die Lage in der Ost-Ukraine. Russland habe wiederholt vor einer Konzentration ukrainischer Truppen an der Kontaktlinie gewarnt, sagte Sprecher Dmitri Peskow. Er bekräftigte, Russland habe mit einem Teilabzug seiner Truppen im Grenzgebiet begonnen. Dies brauche aber Zeit. Eine Invasion der Ukraine sei nicht geplant, man beobachte die Entwicklung im Donbass aber sehr genau.
Die Ukraine beschuldigte Russland, das Abkommen von Minsk gebrochen zu haben. “Es wurde zivile Infrastruktur beschädigt. Wir rufen alle Partner auf, diese schwere Verletzung der Minsker Vereinbarungen in dieser ohnehin angespannten Sicherheitslage zu verurteilen”, sagte Außenminister Dmytro Kuleba.
Russland hat mehr als 100.000 Soldaten nahe der Grenze zur Ost-Ukraine aufmarschieren lassen. Zusammengezogen sind Truppen zudem auf der seit 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim sowie im Schwarzen Meer vor der Südküste der Ukraine. In Belarus nördlich der Ukraine unternimmt Russland ein gemeinsames Manöver mit belarussischen Truppen. Dieses solle wie geplant am 20. Februar beendet werden, kündigte der russische Außenminister Sergej Lawrow an.
SCHOLZ UND BIDEN SEHEN KEINEN GROSSEN TRUPPENRÜCKZUG
Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden sehen nach Angaben des deutschen Regierungssprechers kaum Fortschritte im Grenzgebiet zur Ukraine. Beide seien sich in einem Telefonat am Mittwochabend einig gewesen, dass das Risiko einer weiteren militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine weiter bestehe. “Höchste Wachsamkeit sei erforderlich, ein signifikanter Rückzug russischer Truppen sei bislang nicht zu beobachten.” Nach US-Angaben sollen im Grenzgebiet zusätzlich 7000 russische Soldaten eingetroffen sein. US-Außenminister Antony Blinken sagte MSNBC: “Es gibt das, was Russland sagt. Und dann gibt es das, was Russland tut. Und wir haben keinen Rückzug der Streitkräfte gesehen.” Es seien Einheiten zu beobachten, die sich auf die Grenze zubewegten und nicht von der Grenze weg.
Russland hat den Vorwurf, eine Invasion der Ukraine vorzubereiten, immer wieder zurückgewiesen. Präsident Wladimir Putin fordert aber Sicherheitsgarantien vom Westen. Außenminister Lawrow kündigte an, Russland werde noch an diesem Donnerstag den USA auf ihre Vorschläge dazu antworten. Russland hat unter anderem verlangt, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied wird. Eine solche Zusicherung lehnen die USA und die EU ab.