– von Oleksandr Kozhukhar
Lwiw/Washington (Reuters) – US-Präsident Joe Biden hat den Krieg in der Ukraine zum ersten Mal als Völkermord bezeichnet.
“Ja, ich habe es Völkermord genannt, denn es wird immer deutlicher, dass Putin versucht, Ukrainer auszulöschen, und die Beweise häufen sich”, sagte Biden nach einer Rede in Des Moines im US-Bundesstaat Iowa zu Reportern. Biden hatte den russischen Präsidenten Wladimir Putin zuvor wiederholt als Kriegsverbrecher tituliert. Hintergrund sind die sich häufenden Berichte über den Fund von Massengräber und Erschießungen von Zivilisten in den von russischen Truppen geräumten Gebieten in der Ukraine. Nach ukrainischen Angaben werden erneut Evakuierungskonvois mit Zivilisten etwa aus der belagerten Stadt Mariupol behindert.
Vor allem aus dem Osten der Ukraine wurden auch am Mittwoch wieder Angriffe der russischen Truppen gemeldet, die am 24. Februar in das Nachbarland einmarschiert waren. In Mariupol warteten noch 100.000 Menschen auf eine Evakuierung, sagte der Bürgermeister Vadym Boischenko in einer Fernsehansprache. Seit Tagen wird versucht, Hilfskonvois zu organisieren. Unterdessen erlahmt offenbar der Widerstand der ukrainischen Truppen in der südostukrainischen Stadt mit ehemals rund 400.000 Einwohnern, die von Russland weitgehend zerbombt wurde. 1000 Soldaten hätten sich ergeben, teilte die russische Seite mit.
Putin hatte am Dienstag angekündigt, dass Russland seine Angriffe fortsetzen werde, bis die militärischen Ziele erreicht seien. Das ukrainische Verteidigungsministerium sprach am Mittwoch davon, dass Russland trotz der zahllosen Raketenangriffe noch über ein riesiges militärisches Reservoir verfüge. Zudem steige die Gefahr, dass Russland auch chemische Waffen einsetze.
VIER PRÄSIDENTEN AUS EU-LÄNDERN REISEN NACH KIEW
Der polnische Präsident Andrzej Duda reiste in die ukrainische Hauptstadt Kiew, um Präsident Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Duda werde von den Staatsoberhäuptern Estlands, Lettlands und Litauens begleitet, teilte der Berater Dudas, Jakub Kumoch, auf Twitter mit. “Unsere Länder zeigen auf diese Weise ihre Unterstützung für die Ukraine und Präsident Selenskyj.” Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich der Reise anschließen wollen, allerdings lehnte die Ukraine seine Visite ab. Die Bundesregierung reagierte auf die Absage verwundert, Steinmeier zeigte sich enttäuscht.
In der Nacht waren die Vorsitzenden des Außen-, Europa- und Verteidigungsausschusses im Bundestag von einem Treffen mit ukrainischen Parlamentarierinnen aus der Westukraine zurückgekehrt. Michael Roth (SPD), Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine sowie ein “schnellstmögliches” Ölembargo gegen Russland. Hofreiter pochte auch auf einen schnelleren Stopp der Kohleimporte aus Russland. “Ansonsten finanzieren wir Putins Kriegsmaschine immer weiter”, sagte er.
Russland war am 24. Februar mit Truppen in das Nachbarland einmarschiert. Westliche Staaten und die Ukraine bezeichnen die russische Invasion als nicht provozierten Angriffskrieg. Russland spricht dagegen von einer Spezialoperation. Mehr als vier Millionen Menschen sind inzwischen ins Ausland geflohen. Zehntausende Menschen wurden getötet oder verletzt. Städte wurden in Schutt und Asche gelegt, ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung wurde obdachlos.