Über 1500 Tote bei Erdbeben an türkisch-syrischer Grenze

– von Ece Toksabay und Mert Ozkan und Kinda Makieh

Adana/Ankara/Damaskus (Reuters) – Nach dem schweren Erdbeben an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei steigt die Zahl der Todesopfer immer weiter.

Zuletzt wurden aus beiden Ländern insgesamt mehr als 1500 Tote und Tausende Verletzte gemeldet. Die Erdstöße am frühen Morgen hatten laut der US-Bebenwarte eine Stärke von 7,8. Es handelt sich um das schwerste Beben in der häufig von Erdstößen erschütterten Türkei seit der Jahrtausendwende. In Nordwesten Syriens traf es eine Region, die schon unter dem Bürgerkrieg besonders zu leiden hatte.[L8N34M3HD] Noch während Rettungskräfte in der Winterkälte in den Trümmern zahlloser Gebäude nach Überlebenden suchten und Leichen bargen, bebte die Erde in Syrien und in der Türkei erneut. Aus zahlreichen Ländern kamen unterdessen Unterstützungsangebote. “Wir werden alle Hilfen in Bewegung setzen, die wir aktivieren können”, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, in seinem Land seien inzwischen über 900 Todesopfer und fast 5400 Verletzte gezählt worden. Über 2800 Gebäude seien eingestürzt. Die Rettungsarbeiten dauerten an. Der Chef des türkischen Katastrophenschutzes, Yunus Sezer, ging von mehr als 1000 Toten aus. Das syrische Gesundheitsministerium teilte mit, die Zahl der Todesopfer sei auf mehr als 320 gestiegen. Es gebe 1000 Verletzte. Aus den von Aufständischen kontrollierten Gebieten im Nordwesten Syriens meldeten Retter über 220 Tote.

SYRER IN REBELLEN-GEBIET: “ES WAR WIE DIE APOKALYPSE”

Das Epizentrum lag nahe der südtürkischen Stadt Gaziantep. Eine 29-Jährige aus einem nahegelegenen Ort sagte, sie sei von einem großen Lärm und schweren Erschütterungen aus dem Schlaf gerissen worden. Es habe gleich zwei Nachbeben gegeben. “Ich hatte so eine Angst, ich dachte, es hört nie mehr auf.” Auf der anderen Seite der Grenze, in der von Rebellen gehaltenen Stadt Atareb fasst der Syrer Abdul Salam Al Mahmud die Ereignisse knapp zusammen: “Es war wie die Apokalypse”.

In Syrien erschwerten heftiger Regen und Schneeregen die Rettungsarbeiten. Die Gesundheitsbehörden forderten die Bevölkerung auf, Opfer in Notfalleinrichtungen zu bringen. Die Verletzten kämen in Wellen an, sagte ein Behördenvertreter in Aleppo der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon. Zahlreiche Menschen würden im Freien in der Winterkälte ausharren müssen, erklärte die Hilfsorganisation “Weißhelme”.

“DIE SCHREIE HÖRTEN NICHT AUF”

Aus der Türkei gab es Berichte von verletzten Menschen, die vor den Trümmern ihrer Häuser auf die Rettung von Angehörigen hofften. Ein 30-jähriger Mann in der türkischen Stadt Diyarbakir sagte, bei dem Erdbeben sei das Nachbarhaus eingestürzt. “Ich bin rausgerannt. Überall gab es Schreie.” Er habe angefangen, mit bloßen Händen Trümmer wegzuräumen und zusammen mit Freunden Verletzte zu bergen. “Aber die Schreie hörten nicht auf.” Dann seien Rettungsmannschaften gekommen. Auf Bildern von Reuters TV aus der Stadt ist zu sehen, wie Dutzende Retter sich durch Berge von Schutt kämpfen – alles was von einem großen Haus übrig geblieben war. Immer wieder bitten die Helfer um Ruhe, um Lebenszeichen unter den Trümmern wahrnehmen zu können.

Die Erdstöße dauerten eine Minute und waren in den frühen Morgenstunden bis nach Israel, Zypern und in den Libanon zu spüren. In Italien gab es zeitweilig für die Südküste eine Tsunami-Warnung, die am Morgen aufgehoben wurde. In der syrischen Hauptstadt Damaskus sowie in den libanesischen Städten Beirut und Tripoli flohen die Menschen aus Angst vor einem Einsturz aus ihren Wohnhäusern, berichteten Augenzeugen. Damaskus wurde auch bei einem weiteren Beben am frühen Nachmittag erschüttert. Dies hatte die Stärke 7,7. Es war zunächst unklar, welchen Schaden diese Erdstöße anrichteten.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad beriet in einer Krisensitzung seines Kabinetts über das weitere Vorgehen, wie das Präsidialamt mitteilte. Der türkische Präsident Erdogan erklärte, der Winter, die Kälte und der Zeitpunkt des Erdbebens in der Nacht erschwerten die Rettungsarbeiten. Aber alle seien “mit Herz und Seele” dabei. Der türkische Katastrophenschutz des Landes schickte Rettungsteams und Versorgungsflugzeuge in die betroffenen Gebiete und löste einen Alarm der Stufe vier aus, mit dem um internationale Unterstützung gebeten wird.

BAERBOCK: WERDEN RASCH HILFE AUF DEN WEG BRINGEN

Erdogan erklärte, 45 Länder hätten bereits Hilfe angeboten. Erste Angebote kamen unter anderem aus zehn Ländern der EU, Israel und den USA. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärte auf Twitter, ihre Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer und allen, die um ihre Familie, Freunde, Nachbarn bangten. “Wir werden mit unseren Partnern rasch Hilfe auf den Weg bringen.” Innenministerin Faeser sagte, das Technische Hilfswerk (THW) könne Camps mit Notunterkünften und Wasseraufbereitungs-Einheiten bereitstellen. Hilfslieferungen mit Notstromaggregaten, Zelten und Decken bereite das THW ebenfalls bereits vor. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin bot Syrien und der Türkei Unterstützung an. Russland erklärte zudem, eigene Militäranlagen in Syrien seien bei dem Erdbeben nicht beschädigt worden.

Das Erdbeben war das schwerste in der Türkei seit 1999, als mehr als 17.000 Menschen bei einem Beben der Stärke 7,6 ums Leben kamen. Die Erdstöße trafen damals die Stadt Izmit und eine dicht besiedelte Region am Marmarameer nahe Istanbul.

(Bericht von Umit Ozdal und Ece Toksabay, geschrieben von Elke Ahlswede. Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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